Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag punkteten beide Amtsinhaber: In Baden-Württemberg verteidigten die Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann ihre Spitzenposition. Damit können sie die Koalition mit der CDU fortsetzen. Rechnerisch können die Grünen aber auch eine Ampelkoalition mit SPD und FDP eingehen. Offen blieb zunächst, ob es sogar für eine grün-rote Koalition reicht. In Rheinland-Pfalz wurde die SPD unter Regierungschefin Malu Dreyer erneut stärkste Kraft. Dreyer sagte im ZDF, eine Fortsetzung der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP sei ihre erste Wahl. Verantwortlich für die Verluste der CDU in beiden Ländern machten Politiker der Partei vor allem den Masken-Skandal.
Kretschmann nahm den Regierungsauftrag unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse am Abend an: "Ich verstehe das als Auftrag, unserem Land weiter als Ministerpräsident zu dienen", sagte er in Stuttgart. Der Regierungschef ließ allerdings nicht erkennen, ob er an der Koalition mit der CDU festhält oder eine Ampel-Koalition in Aussicht nimmt. Die Grünen würden nun "mit allen demokratischen Parteien" sprechen. "Das werden wir in der nötigen Ernsthaftigkeit tun." Es gelte, den Klimawandel zu begrenzen, den Strukturwandel der Wirtschaft zu meistern und die Demokratie zu verteidigen. Dreyer sagte in Mainz, es gebe erneut einen "klaren Regierungsauftrag". Ihre Regierung aus SPD, FDP und Grünen sei eindeutig bestätigt worden.
In Baden-Württemberg kommen die Grünen laut vorläufigem Endergebnis auf 32,6 Prozent, nach 30,3 Prozent bei der Wahl 2016. Die CDU erreicht 24,1 Prozent, nach 27 Prozent vor fünf Jahren. Die SPD schafft 11,0 Prozent, nach 12,7 Prozent. Die FDP kommt auf 10,5 Prozent, nach 8,3 Prozent. Die AfD erzielt demnach 9,7 Prozent, nach 15,1 Prozent 2016.
In Rheinland-Pfalz kommt die SPD laut vorläufigem Endergebnis auf 35,7 Prozent, nach 36,2 Prozent bei der Wahl 2016. Zweitstärkste Kraft wurde die CDU mit 27,7 Prozent, nach 31,8 Prozent vor fünf Jahren. Die Grünen kommen auf 9,3 Prozent, nach 5,3 Prozent. Die AfD bekommt 8,3 Prozent, nach 12,6 Prozent. Die FDP erhält 5,5 Prozent, nach 6,2 Prozent vor fünf Jahren. Die Freien Wähler ziehen demnach mit 5,4 Prozent erstmals in den Landtag ein. Dem rheinland-pfälzischen Landtag werden damit erstmals sechs Fraktionen angehören: Die SPD erhält im neuen Landtag 39 Sitze, die CDU 31, die Grünen 10, die AfD 9, sowie die die FDP und die Freien Wähler jeweils 6.
"Es ist viel möglich"
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist mit Blick auf die Bundestagswahl im September zuversichtlich: "Es ist viel möglich", sagte der Bundesfinanzminister in der ARD. "Ich will Kanzler werden." Eine Regierung im Bund ohne die Union sei möglich, dieses Zeichen gehe von den beiden Landtagswahlen aus. Auch SPD-Chef Norbert Walter-Borjans wertete die Wahlergebnisse als Beleg dafür, dass die CDU als Regierungspartei nicht benötigt werde. "In beiden Ländern bietet sich eine progressive Regierung an, ohne CDU. Wir sollten diese Chance nutzen", erklärt Walter-Borjans. "Wir gehen als SPD gestärkt in das Superwahljahr 2021", sagte Co-SPD-Chefin Saskia Esken.
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zeigte sich in einer ersten Reaktion enttäuscht. Er betonte aber: "Es sind persönliche Erfolge der Ministerpräsidenten." Mitverantwortlich sei aber auch die Maskenaffäre gewesen, die der CDU geschadet habe. Es gebe zudem Unverständnis und Kritik an dem Corona-Krisenmanagement. Auf die Entscheidung der Union zur Frage des Kanzlerkandidaten habe das Ergebnis keinen Einfluss. Es bleibe beim Zeitplan, dass CDU und CSU dies zwischen Ostern und Pfingsten entscheiden würden, sagte Ziemiak in Berlin. Zugleich warnte er vor einer Koalition von Grünen, SPD und FDP in Baden-Württemberg. "Eine linke Ampel ist nicht gut für das Land." Wichtig sei gerade derzeit "Stabilität", sagte er mit Blick auf die bisherige grün-schwarze Koalition.
Euphorisch gaben sich die Grünen: "Es ist für uns ein Superstart ins Superwahljahr", sagte Parteichef Robert Habeck mit Blick auf die Bundestagswahl und weitere Landtagswahlen. Weitsicht und Pragmatismus seien der Auftrag an die Bundespartei. Co-Parteichefin Annalena Baerbock wertete die Wahlergebnisse als Zeichen, dass die Grünen auch in schwierigen Zeiten das Vertrauen der Wähler gewinnen könnten. "Für uns ist das jetzt ein großer Auftrag für mehr Klimaschutz", sagte Baerbock. In einer Zeit voller Unsicherheit gelte es aber auch, ein neues Fundament für einen starken gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen.
Die FDP zeigte sich offen für eine Regierungsbeteiligung in Baden-Württemberg. Sollte Kretschmann seine Partei zu Gesprächen einladen, werde er den Gremien der Liberalen empfehlen, darauf einzugehen, sagte FDP-Landeschef Michael Theurer in der ARD. Parteichef Christian Lindner sprach von einem "guten Auftakt in das Wahljahr". Er betonte zugleich mit Blick auf Baden-Württemberg: "Mit der FDP wird es sicher keinen Linksruck geben."
Ungewöhnlich viele Briefwahlstimmen
Die infolge der Coronavirus-Pandemie ungewöhnlich vielen Briefwahlstimmen machen die ersten Prognosen und Hochrechnungen schwieriger. Die ARD rechnet in Baden-Württemberg mit einem Briefwähleranteil von 50 Prozent, in Rheinland-Pfalz sogar von 65 Prozent. Das sind Rekordwerte in beiden Ländern. Die Wahlbeteiligung ging bei beiden Abstimmungen zurück. Laut ARD haben in Baden-Württemberg 62,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, in Rheinland-Pfalz waren es 64 Prozent. In beiden Ländern waren es bei der letzten Wahl rund 70 Prozent. Laut ARD-Analyse waren die jeweiligen Amtsinhaber entscheidend für das Ergebnis ihrer Parteien: In Baden-Württemberg sagten 65 Prozent in Umfragen, Kretschmann führe gut durch die Corona-Krise. Bei Dreyer in Rheinland-Pfalz gaben dies 62 Prozent an. 52 Prozent sagten sogar, Dreyer sei der einzige Grund, SPD zu wählen.
Mit Spannung war unter anderem erwartet worden, inwieweit der Maskenskandal um Provisionszahlungen an Unions-Bundestagsabgeordnete die CDU-Ergebnisse belasten würde. Die Wahlen waren auch eine erste Bewährungsprobe des neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet, der als möglicher Kanzlerkandidat der Union gilt. Die Wahlen sind der Auftakt des Superwahljahrs in Deutschland, das in der Bundestagswahl im September gipfelt. Weitere Landtagswahlen stehen in Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen an.
(Reuters)