Die EU-Kommission liess nach zwei Treffen verlauten, viele Fragen blieben offen und man brauche noch weitere Informationen. Nun wollen einige Kantone das Heft in die Hand nehmen und ihren von der Verfassung gewährten Spielraum ausschöpfen.

Bei seinem Schweiz-Besuch Ende April versprach Winfried Kretschmann, Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg, sich in Brüssel für eine schnelle Assoziierung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm "Horizon Europe" einzusetzen. "Das halte ich für unabdingbar", sagte er in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen.

Florian Hassler, Staatssekretär für politische Koordination und Europa in Baden-Württemberg, bereitet die mögliche Erosion der bilateralen Verträge "grosse Sorgen". Zwar würden die Rahmenbedingungen in Brüssel und Bern verhandelt, "aber bei uns in Baden-Württemberg oder in Zürich wirken sie sich sehr konkret aus".

Man werde daher "als Mittler weiter intensive Gespräche mit allen Beteiligten führen, damit die offenen institutionellen Fragen" bestmöglich gelöst würden, wird Hassler auf der Internetseite des Bundeslandes zitiert.

Zusammenarbeit intensivieren

Es seien "Bestrebungen festzustellen, die bisherige Zusammenarbeit zu intensivieren", sagte Roland Mayer, Generalsekretär der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Denn der Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen habe bei den Kantonen zu Befürchtungen geführt, "dass die bisher erfolgreiche Zusammenarbeit gefährdet werden könnte".

Der Wille nach verstärkter Zusammenarbeit sei "derzeit in erster Linie in den Regionen der Schweiz spürbar, die wirtschaftlich am engsten mit den Nachbarregionen in der EU verflochten sind", sagte Mayer weiter.

So habe die KdK von den Kantonen auch den Auftrag erhalten, im Rahmen einer europapolitischen Standortbestimmung "Möglichkeiten einer generellen Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu prüfen".

«Kleine Aussenpolitik» der Kantone

Der Basler Regierungspräsident Beat Jans jedenfalls machte deutlich, dass er sich dafür einsetzen will, dass die Beziehungen im Grenzbereich intensiviert und der Austausch weiter verbessert wird, wie er an einem Anlass in Brüssel Ende April sagte, zu dem er online zugeschaltet war.

Die Region Basel, das Elsass und Baden-Württemberg teilten ihren Lebensraum und organisierten ihn gemeinsam, sagte der Regierungspräsident von Basel-Stadt weiter.

Zwar ist Aussenpolitik Sache des Bundes, doch sieht die Bundesverfassung vor, dass die Kantone "innerhalb ihrer Zuständigkeitsbereiche selbst Verträge" mit dem Ausland abschliessen und "mit untergeordneten ausländischen Behörden" direkt verkehren können. Dies nennt man die "Kleine Aussenpolitik".

Der St. Galler Staatssekretär Benedikt van Spyk sagte zu Keystone-SDA, die Probleme der institutionellen Fragen mit der EU könne zwar nur der Bund lösen. "Wir aber sind daran, mit unseren umliegenden Partnern die Folgen der schleichenden Erosion der bilateralen Abkommen abzumildern."

Sorge macht sich der Kanton etwa über die im nächsten Jahr mögliche Nicht-Aktualisierung des Abkommens über technische Handelshemmnisse (MRA), welche die für die Region besonders wichtige Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie treffen wird. "Wir wollen daher frühzeitig auch innenpolitisch sensibilisieren", sagte Spyk.

Besorgtes Genf

In einer Publikation der Internationalen Bodenseekonferenz (IBK), in der sich die Regionen rund um den Bodensee organisiert haben, verkündete etwa Alfred Stricker, Appenzell Ausserrhoder Regierungsrat und IBK-Vorsitzender, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stärken zu wollen - etwa im Bereich Schüleraustausch, da aktuell die Schweiz nicht am EU-Austauschprogramm "Erasmus plus" teilnehmen kann.

Zudem wurde eine Regierungskommission Bodensee aus der Taufe gehoben, in der sich Vertreter der Grenzregionen und der jeweiligen nationalen Ebene Problemen widmen. Anfang Mai fand das erste Treffen in St. Gallen statt.

Der im Kanton Genf für die Aussenbeziehungen verantwortliche Regierungsrat Serge Dal Busco zeigte sich auf Anfrage von Keystone-SDA ebenfalls besorgt über die aktuelle Situation zwischen Bern und Brüssel. Für einen Grenzkanton wie Genf sei die Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU von strategischer Bedeutung.

Daher profitiere Genf auf regionaler Ebene von seinen regelmässigen Kontakten im Rahmen der grenzüberschreitenden Kooperation, "um die französischen Behörden in der Frage der Beziehungen Schweiz-EU zu sensibilisieren", so der Regierungsrat.

(AWP)