SPD und CDU/CSU beanspruchten zwar nach der Bundestagswahl das Kanzleramt. Sie sind aber auf eine Koalition mit Grünen und FDP angewiesen, um die Regierungsmehrheit zu erreichen. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sagte am Montag nach Präsidiumsberatungen, er wolle eine "sozial-ökologisch-liberale Koalition" bilden. Während die Grünen ihre Präferenz für eine Ampelkoalition mit der SPD und der FDP unter Scholz bekräftigten, favorisierte die FDP die Zusammenarbeit in einer Jamaika-Koalition mit Union und Grünen unter einem Kanzler Armin Laschet (CDU).

Für die FDP gab sich Generalsekretär Volker Wissing mit Blick auf die Sondierungen kompromissbereit. Wenn sich Vorschläge nicht sofort umsetzen liessen, dann könne dies schrittweise geschehen, sagte er in der ARD. Auch die Grünen bewegten sich auf die Liberalen zu. "Ich finde richtig, dass wir mit der FDP reden", sagte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Scholz wertete das Wahlergebnis als klaren Regierungsauftrag für eine Ampel-Koalition. Laschet hatte bereits am Wahlabend angekündigt, eine Jamaika-Koalition anzustreben. Im Gegensatz zur SPD wurden bei der Union allerdings auch kritische Stimmen laut.

Eine Neuauflage der grossen Koalition wollen SPD und Union vermeiden, ein rot-grün-rotes Bündnis hätte keine Mehrheit und die AfD wird von allen übrigen Parteien als Koalitionspartner ausgeschlossen. Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis ging die SPD mit 25,7 Prozent als stärkste Kraft aus der Abstimmung hervor. CDU/CSU erreichten 24,1 Prozent. Die Grünen kamen auf 14,8 Prozent, die FDP auf 11,5 Prozent. Für die AfD stimmten 10,3 Prozent. Die Linkspartei erhielt zwar nur 4,9 Prozent, zieht aber durch den Gewinn von drei Direktmandaten auch mit Listenkandidaten in den Bundestag ein.

Bei der Sitzverteilung kommt die SPD demnach auf 206 des insgesamt 735 Sitze umfassenden Bundestages, die Union auf 196 Sitze, die Grünen 118 Sitze und die FDP auf 92 Sitze. Die AfD belegt 83 Mandate, die Linke 39. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) erhält nach einer Sonderregel einen Sitz. Damit hätte eine Ampelkoalition zehn Stimmen mehr als eine Jamaika-Koalition.

Grüne und FDP wollen Gemeinsamkeiten ausloten

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, kündigte an, es werde in einem "sehr kleinen Kreis" mit der FDP über eine gemeinsame Regierung gesprochen. "Da wird man sehen, was gibt es an Gemeinsamkeiten? Was verspricht die andere Seite, damit das klappen kann?", sagte er in der ARD.

FDP-Generalsekretär Wissing lehnte Forderungen, Scholz zum Kanzler zu wählen, weil dieser vor Laschet liege, ab. Es wäre ein Fehler, sich von inhaltlichen Positionen zu verabschieden und sich nur mit Machtfragen zu beschäftigen, sagte Wissing. Dagegen sagte Grünen-Geschäftsführer Kellner für seine Partei: "Die Nähe zur SPD ist nun wirklich grösser als zur Union."

Neben inhaltlichen Differenzen wie in der Klima- und Steuerpolitik wird es bei den grün-gelben Gesprächen voraussichtlich auch um Ministerposten gehen. Beide Parteien wollen den künftigen Finanzminister stellen. SPD, Union, FDP und Grüne vermieden zunächst, rote Linien für Regierungsbündnisse zu betonen.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zeigte sich überzeugt, dass es eine Chance gebe, mit Grünen und FDP "ein echtes Zukunftsprojekt" zu vereinbaren. Dagegen äusserte sich Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer zurückhaltend über die Bildung einer Unions-geführten Bundesregierung. "Ich sehe einen klaren Wählerwillen, der deutlich gemacht hat, die Union ist dieses Mal nicht die erste Wahl", sagte er im MDR. Sowohl in CDU als auch CSU übten zudem konservative Gruppierungen scharfe Kritik an den Vorsitzenden und dem Kurs der Union.

Im Laufe des Montags wollten die Spitzengremien der möglichen Koalitionspartner die weiteren Schritte beraten. Trotz der schwierigen Ausgangslage, die erstmals seit Jahrzehnten ein Dreier-Bündnis im Bund notwendig macht, signalisierten SPD, Union, Grüne und FDP, monatelange Sondierungen wie 2017 zu vermeiden. Die Bildung einer neuen Regierung solle viel schneller gehen.

Aufgerufen zur Abstimmung waren 60,4 Millionen Deutsche. Die Wahlbeteiligung lag laut Bundeswahlleiter bei 76,6 Prozent und damit etwas höher als 2017 mit 76,2 Prozent.

(Reuters)