Als Emmanuel Macron am Freitag mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert hat, wurde dies auch in Berlin aufmerksam verfolgt. Frankreichs Präsident und Kanzler Olaf Scholz wünschen beide eine Deeskalation im Russland-Ukraine-Konflikt, im Hintergrund stimmen sich die beiden Länder auf Fachebene eng ab.

Aber das öffentlich gross angekündigte Telefonat verschärft auch den Druck auf den SPD-Politiker, in der Krise sichtbarer aktiv zu werden. Schliesslich wird deutschen Kanzlern seit Helmut Kohl unterstellt, besonders enge Drähte nach Moskau zu pflegen.

Prompt wurde der französische Präsident in der gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin gefragt, wieso man nicht zumindest gemeinsam mit Putin telefoniere. Die oppositionelle Union liefert die Begleitmusik mit ihrem Vorwurf, dass Scholz weder in der Russland- noch der Corona-Krise führe.

Macron muss sich auf Wiederwahl konzentrieren

Die Bildung des neuen deutsch-französischen Tandems fördert diesen Eindruck derzeit noch. "Es ist ganz offensichtlich, dass der erfahrene Macron nach dem Abtritt der Angela Merkel versucht, als die 'Nummer eins' in Europa wahrgenommen zu werden", sagt ein enger Vertrauter von Scholz zu Reuters. Zudem stecke der Präsident im Wahlkampf, betont Ronja Kempin, Frankreich-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

"Er muss sich auf seine Wiederwahl konzentrieren und dazu als stark erscheinen", sagt auch Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations (ECFR). Auf keinen Fall dürfe er sich im Wahlkampf den Vorwurf einfangen, er sei ein "Pudel Deutschlands".

Also setzte Macron Zeichen für seinen neuen Partner in Berlin - mit dem französisch-italienischen Freundschaftsvertrag und eben dem Telefonat mit Putin. "Der Präsident hat jetzt die Gelegenheit, seine Führungsrolle in Europa zu zeigen - auch in den Beziehungen zu Putin", heisst es in der französischen Regierung ganz offen.

Dazu kommen zwei andere Punkte, die den Start des Duos auf den ersten Blick schwierig erscheinen lassen: Zum einen der Kontrast zwischen dem nach aussen eher wortkargen, pragmatischen und detailversessenen Hanseaten und dem gerade in Posen und Theorien brillierenden Macron.

Scholz führe nun mal anders und ergebnisorientiert, heisst es in seiner Umgebung. Zum anderen gibt es derzeit echte deutsch-französische Differenzen etwa bei der Reform des Stabilitätspakts, der Taxonomie, der Frage der Rüstungsexporte, aber auch Themen wie Mali. "Und der Kanzler führt mit der Ampel keine einfache Koalition in diesen Fragen - deshalb gibt es Zweifel, was er überhaupt liefern kann", sagt ein französischer Diplomat.

Mit Sorge schaut man in Paris wegen der Grünen etwa auf die Bereitschaft zu militärischem Engagement oder auf die Rüstungsexportpolitik.

Schweisst Russland beide zusammen?

Paraxoderweise könnte ausgerechnet die Russland-Krise Macron und Scholz richtig zusammenschweissen. "Beide fühlten sich von den direkten Gesprächen zwischen den USA und Russland düpiert", meint SWP-Expertin Kempin. Beide seien überzeugt, dass Europa stärker und präsenter sein müsse - und nur eine Chance habe, wenn Deutschland und Frankreich an einem Strang zögen, wird in beiden Regierungen betont.

ECFR-Expertin Puglierin verweist zudem darauf, dass Macron zwar gern in seiner Russland-Politik alleine vorpresche, aber mit seinen Gesprächsofferten an Putin bei der SPD-Linken offene Türen einrenne. "Da unterstütze ich ihn auch ganz persönlich", betonte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Dienstag.

"Beide wissen zudem, was sie aneinander haben - das ist in der Politik oft entscheidender als sofortige gegenseitige Begeisterung", heisst es zudem in Regierungskreisen. Immerhin kennen sie sich aus Zeiten, als Scholz noch Hamburgs Bürgermeister und dann deutsch-französischer Kulturbeauftragter war.

Und als es um das europäische Corona-Wiederaufbauprogramm ging, rief der französische Präsident mit Zustimmung von Kanzlerin Merkel ungewöhnlicherweise direkt beim damaligen deutschen Finanzminister an. Scholz fand einen typisch deutsch-französischen Kompromiss und löste mit dem 750-Milliarden-Euro-Paket auch die drohenden Nord-Süd-Spannungen in der EU auf.

«Macron weiss also, dass Scholz immer nach einer Lösung sucht»

"Macron weiss also, dass Scholz selbst bei Meinungsverschiedenheiten immer nach einer Lösung sucht", heisst es lobend auf französischer Seite. Deshalb kann Macron nun gelassen Hinweise auf die Meinungsverschiedenheiten herunterspielen - auch weil er sich nach Informationen von Reuters darauf verlassen kann, dass Deutschland nicht gegen die von Frankreich als wichtig erachtete Einstufung der Atomenergie als nachhaltige Übergangstechnologie klagen wird.

Der eigentliche Honeymoon des neuen Paares dürfte aber erst anstehen, wenn Macron als Präsident im April bestätigt würde - was man in Berlin hofft. "Denn dann haben beide rund dreieinhalb Jahre gemeinsame Amtszeit, um ihre europapolitische Agenda voranzutreiben", sagt Frankreich-Expertin Rompin. Und da seien sie sich einig, dass die EU sowohl eine Vertiefung wie auch eine aktive Industriepolitik brauche, um sich gegen die USA und China zu behaupten. "Dann allerdings", so ein Vertrauter von Scholz, "muss Macron die Entdeckung machen, dass beim Führungsanspruch in Europa auch die Grösse und das Gewicht der Länder zählen." 

(Reuters)