Als Olaf Scholz im Dezember zum deutschen Bundeskanzler gewählt wurde, jubelte man auch in Madrid. Denn Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sanchez hoffte, dass sich nun in der EU seine sozialdemokratische Agenda durchsetzen lasse. Auch der Generalsekretär der europäischen Sozialdemokraten (SPE) betonte, dass sich die Machtverhältnisse mit dem Abtritt von Angela Merkel entscheidend geändert haben.

"Die westlichste Hauptstadt, in der die EVP einen Ministerpräsidenten stellt, ist derzeit Ljubljana", sagte Achim Post, der auch SPD-Fraktionsvize ist, zu Reuters mit Blick auf die konservative Parteienfamilie EVP. Dafür regieren nun mehr SPE-Politiker von Portugal bis Skandinavien.

Doch nach den Antrittsbesuchen von Scholz bei den wichtigsten europäischen Partnern ist die Euphorie etwas verflogen. In Madrid bremste der SPD-Politiker Wünsche von Sanchez vor allem in einem zentralen Projekt - der geforderten Reform des europäischen Wachstums- und Stabilitätspakts. "Das ist kein Wunder, weil beim Geld nationale Interessen mehr zählen als die politischen Parteienfamilien", sagte Guntram Wolff, Direktor des Brüsseler Bruegel-Instituts, zu Reuters. Deutschland habe nun einmal zentrales Interesse an der haushaltpolitischen Stabilität im Euro-Raum - egal wer im Kanzleramt sitzt.

Scholz regiert nicht alleine

Dazu kommt, dass Scholz in Berlin in einer Ampel-Koalition mit der FDP regiert: Finanzminister Christian Lindner hatte vor seiner ersten Teilnahme an einer Eurogruppen-Sitzung betont, dass nicht mit grundlegenden Veränderungen der Finanz-Regeln in der EU zu rechnen sei. "Sie sind allerdings auch nicht nötig", schob der FDP-Politiker hinterher.

Genau dies war die Botschaft von Scholz schon bei seinem Antrittsbesuch in Frankreich gewesen. Dort stellte er sich gegen die gemeinsame Initiative von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi, die Schuldenregeln zu lockern. Der Stabilitätspakt habe doch genug Flexibilität erlaubt, um selbst einen 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds mit erstmaliger Schuldenaufnahme durch die EU-Kommission zu erlauben, sagte der SPD-Politiker. In Madrid verwies Scholz darauf, dass von diesen von 750 Milliarden Euro nur ein sehr kleiner Teil schon abgeflossen sei.

Allerdings gibt es auch in der SPD Kritik an einer Bremser-Rolle bei der von der EU-Kommission angeschobenen Überprüfung der Regeln des Stabilitätspakts. So pochen der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, und SPD-Fraktionsvize Post auf eine Reform. Die sollte Scholz nicht verweigern, findet Bruegel-Chef Wolff: "Denn langfristig braucht die Eurozone einen weiteren Schritt, um erfolgreich zu sein." Die Haushaltspolitik müsse zusammenwachsen.

Differenzen auch bei der Einwanderung

Doch auch bei anderen Themen bestimmen nationale Sichtweisen die politische Haltung von EU-Regierungschefs- und chefinnen stärker als die Zugehörigkeit zur SPE. Die dänischen Sozialdemokraten haben in der Migrationspolitik seit langem Positionen, die weit rechts von der SPD liegen. In der Rechtsstaatspolitik hat der Amtsantritt von Scholz nicht zu einer härteren Haltung gegenüber der nationalkonservativen Regierung Polens geführt.

Im Gegenteil zeigte sich Scholz bei seinem Besuch in Warschau überzeugt, dass man eine Lösung im Streit um die Justizpolitik finden werde. Das ist weit von der harten Haltung des sozialdemokratischen luxemburgischen Aussenministers Jean Asselborn entfernt.

Ganz so leicht fällt es den Regierungschefs zudem nicht, zu bestimmen, was eigentlich "sozialdemokratisch" sein soll. Sanchez antwortete auf die Frage, dass man "würdevollere Lebensbedingungen für unsere Mitbürger" erreichen möchte. Scholz nannte als gemeinsame Agenda das Ziel einer starken souveränen EU, den Kampf gegen den Klimawandel und "Respekt für jeden Einzelnen" - obwohl diese Ziele auch von anderen politischen Kräften geteilt werden.

Mehr Übereinstimmung bei der Sozialpolitik

Am ehesten wird eine Übereinstimmung in der europäischen Sozialpolitik gesehen. "Hier könnte es bei der Entwicklung einer europäischen Mindestlohn-Politik grössere Offenheit durch einen sozialdemokratischen Kanzler geben", meint etwa Bruegel-Chef Wolff. Aber etwa in der EU-Industriepolitik hätten sich die Haltungen auch der liberalen und konservativen EU-Regierungen in den vergangenen Jahren bereits entscheidend angenähert.

So wenig wie der Sozialdemokrat Scholz also der Heilsbringer einer linken EU-Agenda ist, so wenig will der Liberale Lindner die EU-Finanzpolitik blockieren. "Ich bin kein furchteinflössender Falke, ich bin ein freundlicher Falke", sagte er nach Beratungen mit seinen EU-Kollegen. 

(Reuters/cash)