Jahrelang wurde der Einfluss des CDU/CSU-Parteiengespanns, kurz Union, auf die Politik in Deutschland von Kritikern als übermächtig angesehen. Aber an Weihnachten könnten sich die politischen Verhältnisse völlig gedreht haben: Dann soll Olaf Scholz zum Kanzler einer Ampel-Koalition gewählt sein. Und dann dürften sich die drei höchsten Staatsämter Deutschlands in Hand einer Partei befinden und der Eindruck einer "SPD-Republik" entstehen.

Denn schon am 26. Oktober soll die SPD-Abgeordnete Bärbel Bas zur Bundestagspräsidentin gewählt werden. Und Bundespräsident ist der früheren SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier - der auch für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht.

Zwar stellen die Linken ab 1. November mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow den jährlich wechselnden Bundesratspräsidenten und Bundesverfassungsgerichts-Präsident Stephan Harbath kommt aus der CDU. Aber die gleichzeitige SPD-Präsenz bei den drei Berliner Top-Politik-Positionen wirkt angesichts eines zersplitternden Parteienspektrums und des SPD-Wahlergebnisses von 25,7 Prozent eher ungewöhnlich. Das könnte nach Einschätzung von Experten Auswirkung auf die Wiederwahlchance von Bundespräsident Steinmeier haben. "Als Zeichen der von den Ampel-Parteien beschworenen neuen politischen Kultur könnten die Sozialdemokraten hier vielleicht einer grünen Frau den Vortritt lassen", sagt etwa der Berliner Politologe Gero Neugebauer zu Reuters. Die AfD-Co-Fraktionschefin Alice Weidel winkt dagegen ab: "Entscheidend bei den Inhabern der höchsten Staatsämter ist nicht das Parteibuch, zumal es bereits in der Vergangenheit vorgekommen ist, dass alle drei das gleiche Parteibuch hatten, sondern die jeweilige Amtsführung", sagt sie.

Verschiedene Wahlprozesse

Bei zwei der drei anstehenden Wahlen steht dabei das Ergebnis mehr oder weniger fest: Scholz wird Bundeskanzler, wenn sich SPD, Grüne und FDP auf einen Koalitionsvertrag einigen. Die drei Parteien verfügen dann über die nötige Mehrheit im Bundestag. Den Posten des Bundestagspräsidenten wiederum bekommt traditionsgemäss die stärkste Fraktion im Bundestag - diesmal also die SPD. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat klar gemacht, dass er die anderen Fraktionen bereits über die Nominierung von Bärbel Bas informiert hat und deren Zustimmung erwartet.

Tatsächlich heisst es in der CDU/CSU-Fraktion nach Reuters-Informationen, dass man das Vorschlagsrecht der SPD nicht infrage stellen werde. Damit wird auch bei den künftigen Ampel-Koalitionären Grünen und FDP nicht gerechnet, womit eine breite Mehrheit gesichert scheint - egal wie Linkspartei und AfD abstimmen werden.

Mit seinem Vorschlag, Bas zur Bundestagspräsidentin und die Hamburgerin Aydan Özoguz zur Vize-Präsidentin zu nominieren, hat Mützenich auf den Druck aus den eigenen Reihen reagiert, dass zum dritten Mal in der bundesrepublikanischen Geschichte eine Frau an die Spitze des Parlaments rücken sollte - und dies beeinflusst nun die dritte Abstimmung.

Steinmeiers zweite Amtszeit könnte zum Spielball werden

Denn bei den Anhängern Steinmeiers wurde die Personalie Bas mit Erleichterung aufgenommen. Auch bei der Besetzung des Bundespräsidentenpostens war debattiert worden, ob nicht erstmals eine Frau ins Schloss Bellevue einziehen sollte. Schon vor der Bundestagswahl war etwa die Grünen-Co-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt für diesen Posten gehandelt worden. "Jetzt gibt es eine Frau für einen der Top-Posten", heisst es in der SPD. SPD-Fraktionschef Mützenich drängte deshalb am Mittwochabend, dass man das Amt des Bundespräsidenten nicht mehr zum Gegenstand weiterer politischer Debatten machen solle. Steinmeier geniesse in der Bevölkerung hohe Wertschätzung, betonte er und spielte auf die Überparteilichkeit eines Staatsoberhauptes an.

"Von den SPD-Frauen wird Steinmeiers Position nicht angegriffen. Wir sagen nur: Wenn es Neubesetzungen gibt, dann kann es nicht an uns Frauen vorbeigehen", stellte die Co-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF), Maria Noichl, im ZDF klar.

Doch ob die Debatte wirklich beendet ist, wer Mitte Februar zum Bundespräsidenten gewählt wird, ist unklar. Der Politologe Neugebauer hält es für möglich, dass gerade die Grünen Anspruch erheben könnten. Fest steht auf jeden Fall, dass die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung, die zur Hälfte aus Vertretern des Bundes und der Länder gebildet wird, kompliziert sind. Das liegt schon an den Beteiligungen von Grünen und FDP an verschiedensten Landesregierungen. Und anders als im Parlament gibt es beim Bundespräsidenten keine Traditionen, wie eine Mehrheitsbildung zwischen den Parteien zustande kommt. Deshalb halten sich fast alle Parteien derzeit noch bedeckt. 

(Reuters)