Aber auch danach dürfte es kaum vorwärts gehen. Der Rahmenvertrag liegt auf Eis. Juncker selbst glaubt nicht mehr daran, dass er das institutionelle Rahmenabkommen mit der Schweiz noch unter Dach und Fach bringen wird. In seinen Sommerferien zog er in der "Tiroler Tageszeitung" Bilanz. Er bedauerte, dass es ihm nicht gelungen sei es ihm, "den Rahmenvertrag mit der Schweiz zu verabschieden".

Damit dürfte der EU-Kommissionspräsident die Situation richtig einschätzen. Denn auch unter Schweizer Politikern, die mit dem Thema betraut sind, heisst es, dass bis zu den eidgenössischen Wahlen Ende Oktober beim Rahmenabkommen nichts mehr vorangehen wird. Auch Bundesrat Ignazio Cassis meinte kürzlich im "Sonntags-Blick", "eine Einigung mit der aktuellen Kommission wäre ein Wunder".

Geteilter Meinung ist man hingegen darüber, ob nicht auch noch die Abstimmung zur Kündigungsinitiative, mit der die SVP die Personenfreizügigkeit mit der EU beenden will, abgewartet werden soll.

Brüssel drückte aufs Tempo

Da der Ball beim Rahmenvertrag zurzeit bei der Schweiz liegt, sind Brüssel die Hände gebunden. Denn als nächstes muss Bern mitteilen, wo es konkret Anpassungen braucht. Uneinig ist man sich noch beim Lohnschutz, den staatliche Beihilfen und der Unionsbürgerrichtlinie. Brüssel hat zwar klar gemacht, dass der ausgehandelte Text tabu ist. Es ist aber bereit, Präzisierungen vorzunehmen.

Noch vor der Sommerpause wollte die EU diese Klärungen vornehmen. Doch nach einer fünfmonatigen Konsultationsphase mit Sozialpartnern, Parteien und Verbänden sah sich der Bundesrat im Juni noch nicht im Stande, mit der EU über Präzisierungen zu reden und nahm sich noch mehr Zeit.

Mag sein, dass diese Konsultation dazu geführt hat, dass - zwar noch kein breiter innenpolitischer Konsens herrscht - nun aber wenigstens differenzierter über den Rahmenvertrag diskutiert wird. Doch kommt sie Jahre zu spät.

Künftige Anpassungen nicht sicher

Für die EU jedenfalls ging das alles sehr, sehr lange. Als dann im Juni die Schweiz nicht in der Lage war, innerhalb weniger Tagen über Präzisierungen zu diskutieren, liess Brüssel die provisorisch erteile Äquivalenz für die Schweizer Börse SIX Swiss Exchange am 30. Juni auslaufen. Doch der Schuss ging hinten los, denn Bern ergriff Schutzmassnahmen, die sich aktuell positiv für die SIX auswirken.

In Zukunft aber droht der Schweiz weiteres Ungemach. Denn die EU-Kommission hatte deutlich gemacht, dass ohne Rahmenabkommen künftig auch Anpassungen bestehender Abkommen nicht mehr zwingend gemacht würden - nur noch dann, wenn es im übergeordneten Interesse der EU ist oder eine rechtliche Verpflichtung besteht.

"Die Idee, das was wir haben, haben wir, und das wird es auch in Zukunft geben", sei nicht akzeptabel, hatte EU-Kommissar Johannes Hahn Bern wissen lassen.

Medtech als erstes «Opfer»

Erstes "Opfer" dieser harten Haltung Brüssels dürfte die Schweizer Medtech-Branche werden, die 2017 ein Exportvolumen von 11,3 Mrd. Franken generierte - rund die Hälfte davon, 6,5 Mrd. Franken, gingen in die EU.

Denn bis Mitte 2020 steht eine Anpassung des Abkommens über technische Handelshemmnisse (MRA) mit der EU an. Hierbei geht es um Medizinalprodukte wie künstliche Knie- oder Hüftgelenke Herzschrittmachern und Computertomografen.

Gibt es die Anpassung nicht, hätten Schweizer Medtech-Unternehmen beim Export in die EU höhere bürokratische Hürde zu überwinden. Je nach Produkt kann die Zulassung in einem EU-Land bis zu zwei Jahre länger dauern. Zeit, die Konkurrenten in der EU für sich nutzen können.

Auch beim neuen EU-Forschungsprogramm "Horizon Europe" könnte die EU ihre Krallen ausfahren. Noch ist nichts in Stein gemeisselt, denn die Beratungen auf EU-Eben sind nicht abgeschlossen. Doch bleibt die Drittstaatenregelung, die auch für die Schweiz gilt, wie sie im Entwurf steht, muss nicht - aber kann - die EU den Zugang der Schweiz zu ihrem Forschungsprogramm einschränken.

Ausserdem ist die Massnahme zum Schutz der Schweizer Börse keine dauerhafte Lösung. Denn es ist im Interesse der Schweizer Unternehmen, dass ihre Titel auf möglichst allen internationalen Plätzen gehandelt werden - auch in der EU. Weniger gute Handelsbedingungen mindert ihre Attraktivität für Investoren und Banken.

Ob von der EU fair gespielt oder nicht: Ohne Rahmenvertrag wird sich die Schweiz in den kommenden Monaten auf Unannehmlichkeiten gefasst machen müssen.

(AWP)