Russland hat vor zwei Wochen die Gaslieferungen nach Europa im Juli durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 teilweise wieder aufgenommen. Damit sind Befürchtungen eines kompletten Lieferstopps nicht eingetreten. In Deutschland hatte man befürchtet, dass Gazprom nach Beendigung von zehntätigen Arbeiten den Gashahn geschlossen halten oder deutlich weniger Gas liefern könnte. Derzeit ist die Menge auf 20 Prozent der Kapazität gedrosselt. Unklar und unsicher bleibt, wie viel Gas Russland in Zukunft liefern wird. 

Diese 20 Prozent des ursprünglichen Umfangs liegen nur knapp über der Grenze, ab der die europäischen Füllstände für den Winter knapp werden könnten, schreiben Ökonomen der Credit Suisse in einer Studie. "Rationierungen in Europa – ob preisgetrieben, freiwillig oder offiziell angeordnet – werden damit immer wahrscheinlicher."

Dies erhöhe zum einen die Gefahr von Produktionsausfällen in der Schweiz, zum anderen steige das Risiko, dass Übertragungseffekte eines Abschwungs in den Nachbarländern auch die Nachfrage hierzulande beeinträchtigten. "Gas aus Russland bedient immerhin fast die Hälfte der Schweizer Gasnachfrage. Und bis zu drei Viertel davon werden über Deutschland in die Schweiz transportiert", heisst es in der Studie. 

Im Vergleich zu den Nachbarländern sei die Schweiz indes weniger anfällig. Der Anteil von Gas am Gesamtenergieverbrauch ist in der Schweiz deutlich geringer als in vielen EU-Ländern, weil Gas in der Schweiz nicht für die Stromerzeugung verwendet wird.

Grafik: Credit Suisse

Dennoch ist auch die Schweiz nicht immun gegen einen Gasstopp Russlands. Konkret: Sollten die Gaslieferungen aus Russland ab August vollständig ausfallen oder der europäische Gaspreis dauerhaft auf 200 Euro pro Megawattstunde (MWh) steigen, werden Produktionsausfälle in Europa wahrscheinlich, so die CS-Ökonomen. Zweitrundeneffekte über die Lieferketten könnten zudem die Schweizer Chemie- und Pharma- sowie die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) belasten.

Unabhäng von den weiteren Entwicklungen am Gasmarkt dürfte die Schweizer Exportindustrie bereits in den kommenden Monaten die Eintrübung der Konjunktur im Euroraum zu spüren bekommen. "Wir halten eine wirtschaftliche Abkühlung hierzulande deshalb für immer wahrscheinlicher", schreiben die Experten.

Die CS belässt die Wachstumsprognose für die Schweiz im Jahr 2022 bei 2,5 Prozent. "Dagegen ist unsere Prognose von 1,6 Prozent Wachstum im kommenden Jahr vor dem Hintergrund der gestiegenen Risiken, insbesondere dem erwarteten Abschwung in der Eurozone, zu optimistisch. Wir passen daher die Prognose für das Jahr 2023 auf 1 Prozent an, rechnen jedoch nicht mit einer Rezession in der Schweiz."

(cash)