Alexej Nawalny bezeichnet es als Folter, wenn er nachts von seinen Bewachern jede Stunde geweckt wird. Seiner Bitte um Behandlung seiner Rücken- und Beinschmerzen werde nicht nachgekommen, um ihn fertig zu machen. Dass er zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, sieht der 44-jährige Kritiker von Russlands Präsident Wladimir Putin als Komplott wegen seines politischen Engagements. Der Westen, einschließlich der Bundesregierung, hat mehrfach die sofortige Freilassung Nawalnys gefordert. Die Regierung in Moskau lehnt dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten ab.

Der Häftling Nawalny sitzt in einem Hochsicherheitstrakt in einem Gefängnis in Pokrow rund 100 Kilometer östlich von Moskau. Und so sieht sein Alltag aus, wie Reuters aus Nawalnys Beiträgen bei Instagram und Telefongesprächen mit zwei Ex-Häftlingen zusammengetragen hat. Die russische Gefängnisbehörde und seine Haftanstalt selbst haben Anfragen dazu nicht beantwortet. Die Behörden haben am Donnerstag aber betont, dass Nawalnys Gesundheitszustand stabil und zufriedenstellend sei. Der Kreml hat darauf hingewiesen, dass russische Staatsbürger in Gefängnissen im Ausland mitunter weit schlechtere Bedingungen vorfänden als Nawalny. Der Häftling selbst schreibt auf einem Instagram-Eintrag von "unserem freundlichen Konzentrationslager".

Die Gefängnisinsassen werden laut Nawalny von den Aufsehern jeden Morgen um 06.00 Uhr geweckt. Während der Morgengymnastik läuft die russische Nationalhymne. "Man stelle sich die Gegend um die Gebäude vor. Schnee. Männer in schwarzen Gefängnisuniformen, Stiefel und Fellmützen stehen im Dunkeln mit ihren Händen auf dem Rücken, über ihnen ein Lautsprecher an einem Mast, daraus tönt: 'Glorreich seist du, unser freies Vaterland'", ließ Nawalny seine Anwälte in einem anderen Instagram-Eintrag veröffentlichen. Die Häftlinge werden von einer Stimme aus einem Lautsprecher dirigiert, wo sie hinzulaufen haben. "In dem Moment stelle ich mir vor, ich bin Teil einer russischen Neuverfilmung von 'Krieg der Sterne'", schreibt Nawalny.

Dmitri Djomuschkin saß im selben Gefängnis und wurde 2019 entlassen. Er erzählt in einem Telefongespräch, den Insassen werde zwei Minuten gegeben, um sich anzuziehen, und weitere zwei Minuten, um ihr Bett zu machen. Die beiden Häftlinge, die zuletzt fertig sind, würden bestraft, manchmal sogar geschlagen, berichtet Djomuschkin. Nach dem Frühsport gehen die Häftlinge zurück in die Baracken. Einige stehen Schlange, um sich zu waschen oder von Mithäftlingen rasiert zu werden. Zum Frühstück gibt es um 06.30 Uhr Getreidegrütze in Blechschüsseln und süßen Tee in Metallbechern, wie Nawalny berichtet.

Möbel sinnlos von einer Stelle der Baracke zu einer anderen tragen

"Wenn du fertig bist mit dem Frühstück, stehst du auf und zeigst deine Hände", erzählt Djomuschkin. "Es ist verboten, Essen mitzunehmen." Die Wachen machen daraufhin einen Appell, laut Djomuschkin müssen die Häftlinge dabei mitunter über zwei Stunden stehen. Gleb Drobilenko, ein weiterer Exhäftling, berichtet von mehreren Appellen über den Tag. Immer wieder müsse man dabei stundenlang einfach nur stehen. Zum Zeitvertreib müsse man auch immer wieder die Betten machen, Staub wischen oder Möbel sinnlos von einer Stelle der Baracke zu einer anderen tragen.

Zum Mittagessen gibt es Suppe, manchmal noch aus Resten der Getreidegrütze vom Morgen, mit Kartoffeln und etwas Huhn oder Schweinefleisch, wie Djomuschkin weiter erzählt. Nach dem Essen werden die Häftlinge in einen Raum gebracht, wo sie erneut Gymnastik machen. Dabei seien manche auch schon bewusstlos geworden. Die Wachen halten mitunter auch kurze Vorträge. Um 17.00 Uhr dürfen die Häftlinge für etwa eine Stunde Fernsehen schauen, aber nur die amtlichen Sender und ausnahmslos Nachrichten oder Dokumentationen, berichtet Djomuschkin. Dabei müssten sie meistens stehen. Zum Abendessen gibt es wieder Kartoffeln, mit Fisch oder Fleisch.

Vor dem Schlafengehen müssen sich die Insassen waschen. Die Wachen untersuchen sie zudem nach Verletzungen. "Es ist verboten, vor 22.00 Uhr die Augen zuzumachen", sagt Djomuschkin. "Die Kollaborateure laufen herum und sorgen dafür, dass niemand seine Augen zumacht." Nawalny berichtet, dass nachts alle Stunde ein Mann an sein Bett komme, ihn filme und dann aufwecke, obwohl in seiner Zelle eine Kamera installiert sei. Zur Begründung heiße es, bei ihm bestehe Fluchtgefahr. "Dann schlafe ich friedlich wieder ein und denke daran, es gibt Leute, die sich an mich erinnern und mich nie vergessen werden, was großartig ist, nicht wahr?"

Ein Anwalt darf Nawalny jeden Werktag besuchen. Aber sein Team an Juristen berichtet, dass sie mitunter drei bis vier Stunden warten müssen, bis sie ihren Mandanten zu Gesicht bekämen. Die Begegnungen mit ihm seien dann nur kurz.

(Reuters)