Die neue Regelung empfiehlt den EU-Staaten ihre Mindestlöhne so anzupassen, dass sie 60 Prozent des Median-Einkommens und 50 Prozent des Durchschnitts-Einkommens abbilden. Zudem werden sie zu Aktionsplänen verpflichtet, um die Tarifbindung zu steigern, wenn deren Quote unter 80 Prozent liegt.

In der Schweiz liegt die Quote der Tarifverträge - also der Gesamtarbeitsverträge (GAV) - laut Gewerkschaftsbund bei rund 50 Prozent.

Ausserdem: Würde die Schweiz die gleichen Kriterien anwenden, wie es bald die EU machen dürfte, dann entspräche dies gemäss SGB einem Mindestlohn von 4000 Franken. Dies fordere der SGB schon länger, schrieb der Gewerkschaftsbund. Die Bau-Mindestlöhne seien jedoch wesentlich höher.

Obwohl ein Kompromiss zwischen den EU-Staaten und dem EU-Parlament erzielt wurde, ist die EU-Mindestlohn-Regelung noch nicht unter Dach und Fach. Noch müssen die beiden Gremien dieser zustimmen.

Für SGB bleibt Problem bestehen

Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA wollte vom SGB wissen, ob diese neue EU-Regelung seine ablehnende Haltung gegenüber dem Rahmenabkommen ändern könnte. Der SGB verneinte dies jedoch.

Er würde sich zwar für eine Übernahme der EU-Regelung durch die Schweiz aussprechen. "Die Übernahme löst aber die Probleme, die sich beim Rahmenabkommen ergeben haben, nicht".

Denn "das Rahmenabkommen hätte die Durchsetzung der Mindestlöhne substanziell erschwert und das Schweizer Vollzugsdispositiv in Frage gestellt", schriebt der Gewerkschaftsbund weiter.

Dabei spielt der SGB auf die Rolle des EU-Gerichtshofes (EuGH) an, der gemäss Rahmenabkommen bei der Anwendung von EU-Recht in der Schweiz massgebend gewesen wäre. Für den Gewerkschaftsbund entscheidet der EuGH zu arbeitgeberfreundlich.

Als Beispiele dienen hierbei der "Viking"- und der "Laval"-Fall aus dem Jahre 2007. In beiden Fällen setzten sich die Gewerkschaften vergeblich vor dem EuGH gegen Lohndumping ein.

Experte sieht Erstarken des Sozialen

Der auf EU- und Schweizer Arbeitsrecht spezialisierte Jurist Kurt Päril von der Universität Basel versteht mit Blick auf frühere EuGH-Entscheide die Vorbehalte der Gewerkschaften.

Der Rechtsexperte konstatiert jedoch in den letzten Jahren eine Werteverschiebung innerhalb der EU - weg vom Primat des Binnenmarktes. "Lange Zeit galt in der EU eine einseitig wirtschaftsliberale Haltung", sagte er zu Keystone-SDA.

Doch in den letzten Jahren sei die soziale Säule in der EU gestärkt worden. Pärli nennt hier neben der EU-Mindestlohn-Richtlinie auch die verschärften Regelungen zur Entsendung oder die neue EU-Regelung für Plattform-Angestellte wie etwa Uber.

Der Rechtsexperte ist denn auch überzeugt: "Der EU-Mindestlohn und andere EU-Projekte wie die Europäische Säule sozialer Rechte werden auch die Rechtsprechung des EuGH in Richtung sozialerer Urteile beeinflussen."

Diese und andere Massnahmen könnten dazu beitragen, die Arbeits- und Lohnbedingungen in der EU zu verbessern. Das Thema Lohndumping durch grenzüberschreitende Dienstleistungen könnte so langfristig an Brisanz verlieren. "Dies hätte auch eine Auswirkung auf den Druck auf Arbeitnehmende in der Schweiz ", sagte Pärli.

(AWP)