Herausforderer Joe Biden kommt einem Sieg bei der US-Präsidentenwahl immer näher. Drei Tage nach der Abstimmung machte der Kandidat der Demokraten zunehmend Boden gut in Bundesstaaten, die Amtsinhaber Donald Trump dringend gewinnen muss, um Chancen auf eine Wiederwahl zu wahren.

Im Schlüsselstaat Pennsylvania ging Biden am Freitagnachmittag erstmals in Führung, auch in der Republikaner-Hochburg Georgia lag der 77-Jährige vorne. Trump sah sich selbst jedoch längst nicht geschlagen. Erneut ohne Belege zu liefern, stellte er die Behauptung auf, die Wahl werde ihm "gestohlen". Seine Anwälte scheiterten in gleich mehreren Bundesstaaten aber mit Versuchen, noch laufende Stimmenauszählungen per Gericht stoppen zu lassen.

Das Abschneiden eines Kandidaten in den einzelnen Bundesstaaten entscheidet darüber, wie viele Wahlleute er in dem Wahlgremium zugesprochen bekommt, das schließlich den Präsidenten bestimmt. Mindestens 270 werden für einen Sieg benötigt. Bis Freitagvormittag hatte Biden 253 Stimmen sicher, Trump kam auf 214. In Pennsylvania, wo es um 20 Wahlleute geht, lag Biden laut Datenanbieter Edison Research nach Auszählung von 95 Prozent der Stimmen bei 49,4 Prozent und damit erstmals vor Trump, der auf 49,3 Prozent kam. Das entsprach einem Vorsprung von 5587 Stimmen. Die Auszählung dauert an. Mit den 20 Wahlleuten aus Pennsylvania hätte Biden 273 Wahlleute und die Wahl damit gewonnen.

Auch im eigentlich tief konservativen Georgia mit seinen 16 Wahlleuten gelang es Biden laut Edison Research Trump den Vorsprung abzunehmen. Am Freitagnachmittag lag er dort mit 1097 Stimmen in Führung. Georgia alleine würde mit seinen 16 Wahlleuten für einen Wahlsieg Bidens allerdings nicht ausreichen. Ausgezählt wurde zudem weiterhin in Arizona, Nevada und North Carolina.

Grosse TV-Sender schalten bei Trump-Rede ab

Angesichts schwindender Aussichten auf einen Sieg feuerte Trump weitere verbale Breitseiten gegen das Wahlsystem ab, dessen Legitimität er seit Wochen attackiert. Auf Twitter wetterte er zum wiederholten Male, er hätte die Wahl ja "leicht" gewonnen, wenn nur die "legal abgegebenen Stimmen" gezählt würden. Der Kurznachrichtendienst versah den Kommentar wie zuvor schon ähnliche Behauptungen des Präsidenten mit dem Warnhinweis, dass es sich um einen irreführenden Beitrag handeln könnte. Trump warf Twitter daraufhin vor, "außer Kontrolle" zu sein.

Noch in der Nacht hatte er im Weißen Haus eine etwa 15-minütige Ansprache gehalten und zum Rundumschlag gegen die Demokraten und Wahlhelfer ausgeholt. "Sie versuchen, eine Wahl zu manipulieren, und wir können das nicht zulassen", sagte er, bevor er den Raum verließ ohne Fragen der Journalisten zuzulassen.

Mehrere große Fernsehsender in den USA unterbrachen ihre Übertragung der Rede noch während der Präsident sprach. Die TV-Moderatoren erklärten, sie sähen sich gezwungen, Trumps Äußerungen zu korrigieren. Biden, dessen Wahlkampfstab sich seit Tagen siegesgewiss gibt, schrieb auf Twitter, "niemand wird uns unsere Demokratie wegnehmen. Nicht jetzt und niemals."

Klagewelle losgetreten

Trumps Kritik richtet sich vor allem gegen die Briefwahl und die Möglichkeit, vielerorts bereits vor dem eigentlichen Wahltag abstimmen zu können. Umfragen zufolge haben vor allem Anhänger der Demokraten dies genutzt, um eine Ansteckung mit dem Coronavirus in Warteschlangen vor den Wahllokalen zu verhindern. Da mit der Auszählung dieser wahren Flut an Stimmen in einige Bundesstaaten erst am Wahltag selbst begonnen werden durfte, zieht sich der Prozess hin. Das erklärt auch, warum Trump auf Basis der direkt am Wahltag abgegeben Stimmen etwa in Pennsylvania erst vor Biden lag, nun aber sein Vorsprung bröckelt, je mehr Briefwahlstimmen ausgewertet werden.

Trump und seine Anwälte werten dies als Wahlbetrug und haben deswegen eine Klagewelle losgetreten. Gerichte in Georgia und Michigan folgten dem nicht. Auch Rechtsexperten geben Trumps Strategie kaum Erfolgschancen und gehen davon aus, dass sein Team damit vor allem Zeit gewinnen und Unsicherheit schüren will. Die Frist, bis zu der Rechtsstreitigkeiten rund um die Wahl geklärt werden müssen, ist der 8. Dezember.

Die Verbalattacken aus dem Weißen Haus heizten zudem die Wut unter den Trump-Anhängern an. In mehreren Städten des tief gespaltenen Landes zogen sie auf die Straßen, wo sie auf Unterstützer Bidens trafen. Es blieb überwiegend friedlich. Doch in Philadelphia etwa vereitelte die Polizei nach eigenen Angaben einen Versuch von Bewaffneten, das Wahlzentrum zu stürmen. 

(Reuters)