Wer nach Europa blickt, findet derzeit fast nur positive Zeichen der Wirtschaftsentwicklung. Die Europäische Union dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Gesamtjahr um 2,3 Prozent steigern. In den 19 Staaten der Euro-Zone wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet. Auch die Stimmung der Unternehmen hat sich unlängst noch einmal verbessert. Der wichtige IHS-Einkaufsmanagerindex kletterte im November auf den höchsten Stand seit rund sechseinhalb Jahren.

Stand vor wenigen Jahren der gesamte Währungsraum praktisch am Abgrund, herrscht nun mancherorts fast schon Euphorie. Doch die Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten sind immer noch deutlich: Luxemburg (+3,5 Prozent) und Spanien (+3,1 Prozent) sowie Italien (+1,5 Prozent) und Griechenland (+1,6 Prozent) trennen teilweise rund 2 Prozentpunkte Wachstum.

Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass sich die Erholung auch 2018 fortsetzen wird. Für seine Prognose schaut Stefan Gerlach, Chefökonom der Privatbank EFG, in erster Linie auf die Zinsen in den USA. "Nächstes Jahr werden wir höhere Zinsen in den USA erleben. Das wird den Dollar auf- und  vermutlich den Euro abwerten", sagt er im Gespräch mit cash.

Das wiederum nütze den europäischen Exportnationen, allen voran Deutschland, den Niederlanden und Irland. Die EU-Kommission, sozusagen die europäische Regierung, erwartet zudem von Spanien, Zypern und Slowenien überdurchschnittliches Wachstum von mehr als 3 Prozent. Demgegenüber steht zum Beispiel Italien, wo in den kommenden Jahren nur eine geringe Belebung der Wirtschaft erwartet wird.

Verzerrungen bei Immobilien

Die Kommission ist denn auch der Meinung, Wirtschaftswachstum und Inflationsentwicklung seien nach wie vor auf Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) angewiesen. Somit wird es in Europa noch einige Zeit dauern, bis die Zinsen ansteigen. Die EZB wird zwar ihre monatlichen Geldspritzen ab Januar eindämmen, mit einer Zinserhöhung vor 2019 rechnet aber praktisch niemand.

Doch die Abhängigkeit vom billigen Zentralbankengeld sorgt auch auf makroökonomischer Ebene für Verzerrungen. Wie die Bank Edmond de Rothschild in einem Ausblick schreibt, sei der Immobilienmarkt für über 40 Prozent des BIP-Wachstums in der Euro-Zone verantwortlich. Das sorge für Instabilität.

"Expansive Geldpolitik hat immer einen stimulierenden Effekt auf den Immobilienmarkt", sagt EFG-Chefökonom Gerlach im cash-Video-Interview. Er glaubt aber, dass sich das Wirtschaftswachstum fortsetzen wird, auch wenn die Geldschleusen dereinst geschlossen werden.

Wichtig dafür ist aber eine Belebung beim Lohnwachstum und beim Privatkonsum. Zwei Grössen, die im zurückliegenden Jahr eher enttäuschten. Insbesondere in Anbetracht der deutlich tieferen Arbeitslosenraten erstaunt das schwache Lohnwachstum in der Euro-Zone. Damit wird laut Gerlach bald Schluss sein: "Es gibt am Arbeitsmarkt hie und da immer noch Flauten, die aber sehr schnell verschwinden. Wenn nicht 2018, dann werden die Löhne spätestens 2019 ansteigen."

Entlastung für die SNB

Ebenfalls für Aufsehen sorgte die Aufwertung des Euro. Gegenüber dem Dollar ist die Gemeinschaftswährung seit Jahresbeginn um 12 Prozent erstarkt. Gegenüber dem Schweizer Franken sind es immerhin 8 Prozent. Auch das ein Zeichen, dass Investoren die gröbsten Probleme der Währungsunion für überwunden halten.

Stefan Gerlach sieht beim Euro-Franken-Kurs sogar noch mehr Luft nach oben, wie er sagt: "Der Euro wird zum Franken im nächsten Jahr an Wert gewinnen." Möglich sei das, weil die Schweizerische Nationalbank (SNB) beim Zurückfahren der expansiven Geldpolitik langsamer agieren werde als die EZB. Ein schwächerer Franken würde nicht nur die Schweizer Exportwirtschaft stärken, sondern auch der SNB einige Sorgen weniger bescheren.

Im cash-Video-Interview sagt EFG-Chefökonom Stefan Gerlach auch, ob die Finanzmärkte weiterhin gelassen auf politische Risiken reagieren werden.