Der britische Aussenminister Jeremy Hunt schloss am Mittwoch in Berlin eine Vereinbarung ohne eine Neuregelung der Backstop-Klausel für die Grenze Nordirlands aus. "Das ist wirklich der einzige Ausweg aus der jetzigen Situation", sagte Hunt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schliesst seinerseits wie die EU-Partner eine solche Änderung aus. Am Abend will Juncker in Brüssel mit der britischen Premierministerin Theresa May zusammenkommen. Wegen der festgefahrenen Situation betonte Juncker, dass die EU-27 eine Verschiebung des britischen EU-Austrittsdatums 29. März akzeptieren würden.

Die Backstop-Regelung sieht eine vorübergehende Zollunion des zu Grossbritannien gehörenden Nordirlands mit der EU vor, bis ein bilaterales Handelsabkommen abgeschlossen ist. Die EU will eine harte Grenze zwischen ihrem Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland unter allen Umständen vermeiden, weil andernfalls ein Wiederaufflammen der Gewalt zwischen Protestanten und Katholiken befürchtet wird. May bekräftigte am Mittwoch in London, dass sie in den Gesprächen eine rechtliche Änderung am Backstopp erreichen wolle. Die Briten befürchten letztlich eine Abspaltung Nordirlands vom Vereinigten Königreich, die EU lehnt eine Befristung der Backstop-Regelung aber kategorisch ab.

Grosse Ablehnung im britischen Parlament

May nannte kein Datum für eine erneute Abstimmung im Unterhaus über den Brexit-Austrittsvertrag. Genannt wurde zuletzt der 27. Februar. In einem ersten Votum im Januar hatten die Abgeordneten die von der EU und der britischen Regierung ausgehandelte Einigung mit grosser Mehrheit abgelehnt. In EU-Kreisen hiess es fast resignierend, die britische Regierung wolle offenbar nicht verstehen, dass die EU-27 an dem mit May selbst ausgehandelten Austrittsvertrag nicht mehr rütteln werde. Die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner sagte im Reuters-Interview: "Premierministerin Theresa May steuert auf ein Desaster von historischem Ausmass zu."

Sollte die britische Premierministerin im Parlament keine Mehrheit bekommen, droht ein sogenannter harter Brexit. Hunt warnte in Berlin vor den negativen Folgen eines solchen No-Deals, der die Beziehungen zwischen den EU-27 und dem Vereinigten Königreich wegen des folgenden rechtlosen Zustands erheblich belasten würde. Denn die britische und europäische Wirtschaft seien sehr eng verflochten, mahnte Hunt. Das Handelsvolumen sei grösser als das der EU mit China oder das amerikanisch-chinesische. "Millionen Jobs hängen daran."

Mays Position wurde am Mittwoch durch den Austritt von drei Tory-Abgeordneten weiter geschwächt. Allerdings hatte sie im Unterhaus schon vorher keine Mehrheit, sondern ist auf die Stimmen der nordirischen protestantischen DUP-Partei angewiesen. Auch aus der oppositionellen Labour-Partei sind aus Protest gegen den Brexit-Kurs der Parteiführung mittlerweile acht Abgeordnete ausgetreten.

Warnungen vor einem «Klein-England»

Hunt forderte die EU-27 auf, der britischen Regierung in der Frage der irisch-nordirischen Grenze entgegenzukommen. Anders als im Januar sei im britischen Parlament dann eine Mehrheit für den Austrittsvertrag zu erwarten. Die EU bezweifelt dies und gibt sich deswegen hart. Das von Juncker erwähnte Angebot einer Verschiebung des Austrittsdatums könnte auf dem regulären EU-Gipfel am 21. und 22. März beschlossen werden. Bisher hat May einen Zeitaufschub aber abgelehnt. Eine Verlängerung der Verhandlungen kann die EU ohnehin nur einstimmig beschliessen. Als juristisch schwierig gilt eine Verlängerung über die Europawahl Ende Mai hinaus. Denn dann müsste Grossbritannien als Noch-Mitglied an den Wahlen teilnehmen, weil andernfalls mit Klagen zu rechnen ist.

Hunt warnte, dass ein ungeordneter Brexit nicht nur das angestrebte weitere enge Verhältnis Grossbritanniens zur EU gefährden könnte. Er verwies auch auf ungewollte innenpolitische Konsequenzen. "Wir müssen verhindern, dass aus Grossbritannien ein Klein-England wird", sagte er. Hintergrund sind Warnungen etwa der Schotten, sich nach einem Brexit vom Königreich abzuspalten.

Für zunehmenden Unmut zwischen beiden Seiten sorgen auch die Vorbereitungen auf einen harten Brexit oder einen No-Deal. Denn die britische Regierung versucht vergeblich, mit der EU-Kommission ins Gespräch zu kommen, um die schlimmsten Auswirkungen eines dann rechtlosen Zustands nach dem 29. März zu begrenzen. EU-Offizielle betonen aber, dass es unmöglich und kontraproduktiv sei, lauter "Mini-Vereinbarungen" zu schliessen. Solche Gespräche würden nur die nötige britische Ratifizierung des Austrittsvertrages gefährden, der auch die Pflichten Grossbritanniens gegenüber der EU beschreibt, hatten EU-Offizielle vergangene Woche betont.

(Reuters)