Teures Tanken und höhere Preise auch für Grundnahrungsmittel wie Brot und Öl treiben die deutsche Inflation so hoch wie seit annähernd 50 Jahren nicht mehr. Waren und Dienstleistungen kosteten im Mai durchschnittlich 7,9 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte und damit eine erste Schätzung bestätigte. Ähnlich hoch war die Teuerungsrate zuletzt im Winter 1973/1974, als Kraftstoffe wegen der ersten Ölkrise stark gestiegen waren. Entspannung ist kaum in Sicht. "Die Lebensmittelpreise werden meines Erachtens noch weiter ansteigen", sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Denn in Zeiten der Getreidekrise in der Ukraine erhöhten etwa deutsche Erzeuger ihre Preise für landwirtschaftliche Produkte im April im Schnitt um 39,9 Prozent - der höchste Preisanstieg seit Beginn der Erhebung 1961.

Erst die Lieferkettenengpässe durch die Corona-Krise und nun vor allem der Ukraine-Krieg mit den Sanktionen des Westens gegen Russland sorgen für steigende Preise bei Energie, Rohstoffen und Lebensmitteln. Dies wiederum belastet Firmen und Verbraucher und bremst die Konjunktur. Im April lag die deutsche Inflation noch bei 7,4 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) hält für den Euro-Raum ein Niveau von 2,0 Prozent für ideal. Wegen des Preisschubs will die EZB um Präsidentin Christine Lagarde im Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen erhöhen.

"Hauptursache für die hohe Inflation sind nach wie vor Preiserhöhungen bei den Energieprodukten", sagte Statistikamt-Präsident Georg Thiel. "Aber wir beobachten auch Preisanstiege bei vielen anderen Gütern, besonders bei den Nahrungsmitteln." Energie verteuerte sich im Mai um 38,3 Prozent. Kraftstoffe zogen um 41 Prozent an, leichtes Heizöl kostete 95 Prozent mehr als vor einem Jahr. Nahrungsmittel verteuerten sich um 11,1 Prozent und damit so stark wie nie seit der Wiedervereinigung. Erheblich mehr kosteten Speisefette und Speiseöle (+38,7 Prozent). Auch Fleisch und Wurst (+16,5 Prozent), Eier und Molkereiprodukte (+13,1 Prozent) sowie Brot und Getreideerzeugnisse (+10,8 Prozent) wurden teurer. Ohne Energie und Nahrungsmittel lag die Inflation nur bei 3,8 Prozent.

Bauern im Blindflug - «Können nicht wirklich kalkulieren»

Auch die Preise bei der Vorstufe - den Erzeugern landwirtschaftlicher Produkte - verteuern sich spürbar und signalisieren damit vorerst anhaltend hohe Lebensmittelpreise. So ging es bei pflanzlichen Produkten im April um 45,7 Prozent nach oben und bei tierischen Erzeugnissen um 35,8 Prozent. "Wir brauchen höhere Preise, um überhaupt weiter produzieren zu können", sagte Bauernpräsident Rukwied im Deutschlandfunk. Düngemittelkosten hätten sich zum Vorjahr vervierfacht, Futter sei doppelt so teuer und die Energiekosten seien explodiert. "Insofern ist ein höheres Preisniveau für unsere Erzeuger ganz, ganz entscheidend, um die Ernährungssicherheit auch weiterhin gewährleisten zu können", erklärte Rudwied. "Wir befinden uns in einer Art Blindflug - wir können nicht wirklich kalkulieren."

Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) erwartet weiter anziehende Lebensmittelpreise. "Wir müssen im Herbst und Winter mit Steigerungen rechnen, weil sich der Handel jetzt mit teurer Energie versorgen muss und die Preissteigerungen an die Kunden weitergereicht werden", sagte er der "Rheinischen Post". "Vieles kommt leider erst noch."

Der Deutsche Bauernverband fordert, die Getreideproduktion ausweiten zu können. Rukwied schlug vor, die von der EU vorgesehenen vier Prozent der Brachflächen aufzuteilen – je zur Hälfte für Artenschutz mit Biodiversität und zur Getreideerzeugung. Zur Rolle Russlands als wichtigen globalen Getreidelieferanten sagte der Bauernpräsident: "Jede Tonne Weizen, die wir in Europa oder anderen Teilen der Welt erzeugen, schwächt letztlich Russlands Position."

Im deutschen Grosshandel gab es derweil minimal Entlastung. Die Firmen erhöhten ihre Preise im Mai zwar mit durchschnittlich 22,9 Prozent binnen Jahresfrist immer noch kräftig. Aber es reichte nicht ganz an das Rekordtempo von 23,8 Prozent aus dem April heran, als es den grössten Zuwachs seit Beginn der Berechnungen der Statistiker 1962 gegeben hatte. Die Daten gelten als Vorläufer für die Verbraucherpreise. Denn höhere Kosten im Grosshandel, dem Scharnier zwischen Herstellern und Endkunden, landen oft zumindest teilweise bei den Konsumenten.

(Reuters)