James Li, ein Public Relations Account Director, würde lieber eine Stunde im Pekinger Verkehr feststecken als zu riskieren, in einem Zug 30 Minuten lang den Menschenmassen ausgesetzt zu sein. “Der Verkehr ist so schlecht wie er nur sein könnte”, aber U-Bahn-Fahren ist immer noch zu heikel, sagte er.

In Frankfurt fährt die Immobilienassistentin Anna Pawliczek zum ersten Mal in ihrer Berufslaufbahn mit dem Auto zur Arbeit. Sie hätte es definitiv immer vorgezogen, entspannt im Zug zu sitzen, statt im Stau vor der Ampel zu stehen, sagte sie. Doch einige Tage nach der Lockerung des Shutdowns in Deutschland bittet ihr Unternehmen zurückkehrende Mitarbeiter, öffentliche Verkehrsmittel unbedingt zu meiden.

Die Benzinnachfrage erholt sich, was darauf hindeutet, dass das Auto - zumindest vorerst - ein Comeback feiert. Mit der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen und der weltweiten Wiedereröffnung des Geschäftslebens hat sich Autofahren als Transportmittel der Wahl für die soziale Distanzierung herausgestellt. Auch bietet es dem Ölmarkt nach seinem schlimmsten Crash in der Geschichte und einem beispiellosen Einbruch der Energienachfrage kurzfristig eine gewisse Erleichterung.

Menschen meiden öffentliche Verkehrsmittel

“Die Leute benutzen ihre Autos mehr, weil sie Angst haben, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen”, sagt Patrick Pouyanne, CEO beim französischen Ölgiganten Total.

Es ist noch zu früh zu sagen, ob diese Änderung dauerhaft ist. In einigen Teilen Asiens, die früher als der Rest der Welt wieder aus der Abschottung zurückkamen, wagen sich die Menschen zurück in die Züge. Und es ist unklar, ob sich die weltweite Benzinnachfrage je vollständig erholen wird.

Auf den Strassen von Peking, Shanghai und Guangzhou ist das morgendliche Verkehrsaufkommen inzwischen über dem Durchschnitt von 2019, während die U-Bahn-Nutzung weit unter dem Normalwert liegt. Das Volumen des Pekinger U-Bahn-Systems liegt 53 Prozent unter dem Vorvirus-Niveau. Die U-Bahn-Nutzung in Shanghai und Guangzhou ist um 29 Prozent bzw. 39 Prozent gesunken.

“Zumindest zu Beginn unseres Weges zurück zur Normalität erwarten wir einen Rückgang der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel”, sagte Josu Jon Imaz, der Leiter der spanischen Ölgesellschaft Repsol.

Rush Hour kehrt zurück

Es ist ein Phänomen, das möglicherweise die dramatische Verringerung der Luftverschmutzung umkehrt, die die geschäftigsten Städte der Welt in den letzten Monaten gesehen haben, als der Reise- und Industriebetrieb zum Erliegen gekommen ist.

In Berlin, einer der ersten europäischen Städte, die den Shutdown gelockert haben, ist die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach wie vor um 61 Prozent niedriger, während sich die Zahl der Autofahrer auf 28 Prozent unter dem Normalwert erholt hat, geht aus Daten von Apple  hervor, die die Nutzung von Wegbeschreibungen auf ihrer beliebten Karten-App Maps verfolgt.

In Madrid liegt Autofahren 68 Prozent unter dem normalen Niveau, gegenüber etwa 80 Prozent im April, während die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel um 87 Prozent zurückgegangen ist, was weitgehend dem Niveau des Vormonats entspricht.

Der Benzinverbrauch erholt sich in den USA von den Rekordtiefs und stieg in der Woche zum 1. Mai um 400'000 Barrel pro Tag. In den Städten in Florida, einem der ersten amerikanischen Bundesstaaten, die gelockert haben, ist der Kraftstoffabsatz auf 30 Prozent unter Normalwert gestiegen, von 50 Prozent unter Normalwert vor einigen Wochen, sagt die Florida Petroleum Marketers Association.

“Etwa ein Drittel der Benzinnachfrage wird sich relativ einfach erholen, denke ich”, sagt Patrick DeHaan, Analyst bei GasBuddy. Der Rest werde viel langsamer zurückkommen, vielleicht dauere es ein Jahr oder länger, sagte er. Ein Teil der Nachfrage werde möglicherweise nie zurückkehren.

Verdoppelung der Buchungen

Die Erholung von Benzin kann sich bis in den Sommer hinein erstrecken, wenn sich die Art und Weise ändert, wie die Leute Urlaub machen. In den USA hat die Nachfrage nach Wohnmobilen zugenommen, da die Menschen lieber mit dem Auto auch weitere Strecken fahren als mit dem Flugzeug reisen. Jon Gray, CEO von RVshare, berichtete, in einigen Bereichen hätten sich die Buchungen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Als es Anzeichen für ein Ende des Lockdowns gab, “haben wir fast über Nacht eine Verdoppelung der Buchungen gesehen”, berichtet er.

Der Kraftstoffhändler Pilot Flying J beobachtet auch eine derartige Tendenz. “Die Leute denken über ihre Reisepläne für diesen Sommer nach, und viele erwägen mit dem Auto zu verreisen, weil sie sich dort wohler fühlen”, sagte Chief Experience Officer Whitney Haslam Johnson.

Angesichts der sich abzeichnenden stärkeren Nachfrage, ist der Abschlag von Benzin gegenüber Rohöl laut Daten von PVM Oil Associates von 11,46 Dollar pro Barrel vor etwa einem Monat auf nur 1,86 Dollar geschrumpft. Zwar haben sich die Brent-Rohöl-Futures im Mai erholt, sie sind in diesem Jahr aber immer noch um mehr als 50 Prozent niedriger.

(Bloomberg)