cash: Laut Hotelplan-CEO Thomas Stirnimann werden sich die Turbulenzen in Ägypten negativ auf das Gesamtjahr 2013 auswirken. Wie ist der Stand bei Tui?

Martin Wittwer: Ägypten ist auch für uns eine Herausforderung. Die Ertragsseite wird sich definitiv verschlechtern. Obwohl das Ägypten-Geschäft praktisch ganz weggebrochen ist, werden wir aber keine roten Zahlen schreiben und unsere Ertragsziele erreichen. Da wir kurz vor dem Jahresabschluss stehen, kann ich nicht genauer auf die Zahlen eingehen. Das Ergebnis wird aber positiv ausfallen.

Wann rechnen Sie mit einer Beruhigung in Ägypten?

Das ist sehr schwer zu beantworten. Wir haben Leute vor Ort, die uns regelmässig Bericht erstatten. An den Touristendestinationen ist es bislang ruhig. Dennoch sind Terroranschläge im ganzen Land nicht auszuschliessen. Einen Anschlag gab es ja schon in Luxor vor 16 Jahren. Die Situation für die kommenden Wochen und Monaten bleibt ungewiss.

Gibt es Kunden, die überhaupt noch nach Ägypten reisen wollen?

Kaum, unsere Hotels sind ziemlich leer. Auch ich plante, mit meiner Familie im September in Ägypten Urlaub zu machen. Doch derzeit verspüre ich wenig Lust, dorthin zu reisen. Aufgrund der flauen Nachfrage hat Tui nun entschieden, den Reisestopp für Ägypten bis Ende Oktober zu verlängern. Wir bieten den Kunden eine kostenlose Umbuchung oder Stornierung bis zum 31. Oktober an. Ab diesem Datum kann Ägypten wieder gebucht werden, sofern das EDA die Reisewarnung lockert.

Andere Reiseveranstalter wie Kuoni oder Hotelplan verlängern den Reisestopp nur bis zum 27. September. Sie bis Ende Oktober – weshalb?

Wir schätzen die Lage und deren Entwicklung etwas anders ein. Ob das EDA in einer Woche die Reisewarnung verändern oder aufheben wird, ist offen. Unsere Kunden, welche bis am 31. Oktober Ferien in Ägypten gebucht haben, möchten heute wissen, ob sie wie geplant reisen können oder kurzfristig umbuchen müssen.

Auf welche Ausweichdestinationen buchen Sie die Kunden?

Wir sind flexibel und bieten genügend Kapazitäten an. Auf die griechische Insel Kreta und Antalya in der Südtürkei setzen wir zwei Maschinen ein, welche für Flüge ans Rote Meer eingeplant waren. Freie Plätze gibt aber auch noch auf anderen griechischen Inseln, auf Gran Canaria, Lanzarote, Teneriffa, in Tunesien, auf Zypern, aber auch noch auf Mallorca oder in Punta Cana in der Dominikanische Republik. Wir empfehlen den Kunden, rasch ihre Buchungsstelle zu kontaktieren.

Somit können Sie die Ertragsausfälle für Ägypten kompensieren.

Nein, wir rechnen mit Ertragsausfällen im Ägypten-Geschäft von zirka 20 Prozent. Dies ist wenig im Vergleich zur Konkurrenz. Unser Vorteil ist, dass wir im Gegensatz zu anderen Reiseveranstaltern an den Feriendomizilen teils über mehrere eigene Hotels verfügen. Damit können wir unsere Gäste schnell und effizient umbuchen. Auf die Strategie eigene Hotels zu betreiben, setzen wir auch beim Aufbau von neuen Destinationen wie die Kapverden.

Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch in Syrien die Lage eskaliert. Das Türkei-Geschäft dürfte dann wohl gefährdet sein. Haben Sie einen Notfallplan für dieses Szenario in der Schublade?

TUI Suisse verfolgt die Entwicklung der Lage immer sehr aufmerksam. Die Sicherheit und das Wohlergehen der Kunden steht immer im Zentrum unseres Handelns. TUI Suisse steht ständigem Kontakt mit der türkischen Vertretung, der Reiseleitung und dem EDA. Bei Bedarf werden die Kunden informiert. Zurzeit besteht keine Gefahr. Die Grenze zu Syrien liegt ungefähr so weit von den touristischen Zentren entfernt wie Brüssel von Luzern.

Tui ist der drittgrösste Reiseanbieter der Schweiz. Wann werden Sie die Nummer eins? 

Um jeden Preis Umsatz zu bolzen, ist nicht unser Ziel. Wir wollen harte Franken verdienen. Ich schätze, dass wir im Bezug auf die Ertragsstärke vermutlich bereits die Nummer eins in der Schweiz sind. Im Fokus steht die Generierung von Mehrwert für unsere Kunden, unsere Geschäftspartner und nicht zuletzt natürlich für unsere Aktionäre.

Tui haftet in der Schweiz ein schlechtes Image an. Nicht wenige verbinden Tui mit deutschem Massentourismus von geringer Qualität. Wie gehen Sie dagegen an?

Der Marke Tui wurde zu Beginn mit sehr vielen Vorurteilen begegnet. Je mehr Kunden mit uns reisen und unsere Leistung vor Ort erleben, desto schneller werden sich diese Vorurteile auflösen. Wir bieten im Schweizer Markt das breiteste, tiefste und qualitativ beste Produkt. Unser Fokus auf Qualität wird sich mit der Zeit auszahlen.

Viele brauchen keine Reisebüros, sondern organisieren ihre Reisen lieber selbst über Direktbuchungen bei Hotels und Airlines. Wie wollen Sie dagegen ankämpfen?

In dem wir auch auf diesen Trend aufspringen. Wir verstärken im Internet unsere Präsenz. Bei Google müssen wir zuoberst erscheinen, wenn zum Beispiel Stichwörter wie Türkei und Reisen eingegeben werden. Wir haben denn auch bereits diverse Investitionen in die Neuen Medien getätigt, die sich in Zukunft lohnen werden. Wir sind überzeugt, dass wir damit die Kunden zurückgewinnen werden. Mit dem neuen Serviceportal www.meine-tui.ch bieten wird den Reisebüro- und Online-Kunden viele nützliche Informationen.

Vor einem Jahr sagten sie gegenüber cash.ch, der Anteil Internet-Buchungen bei Tui.ch soll bis 2015 auf 40 Prozent steigen. Sind sie auf Kurs?

Wir haben letztes Jahr wieder 3 Prozentpunkte zugelegt und sind somit auf Kurs.

Wie wichtig sind für Tui Beratungsgebühren als Einnahmequelle?

Im stationären Vertrieb, sprich bei den Tui Filialen, verzeichnen wir keine Abnahme der Beratungsgebühren. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dem Kunden eine Beratung von hoher Qualität, verbunden mit einer fortschrittlichen Technologie, zu bieten. Für diesen Mehrwert lassen sich die Beratungsgebühren rechtfertigen. Die Kunden honorieren die Serviceleistung.

Wie schätzen Sie die Preisentwicklung für Reisen in den kommenden Monaten ein?

Die Preise werden etwa auf dem Niveau des Vorjahres verharren. Im Vergleich zum europäischen Markt bieten wir 1 zu 1 dieselben Preise. Entscheidend für den weiteren Verlauf der Preise wird aber die Entwicklung der Kerosinpreise sein. Und diese wiederum ist von der Lage in Syrien abhängig. Eine Eskalation der Lage in Syrien hätte ziemlich sicher eine Preiserhöhung zur Folge. Tui verhandelt jedoch die Preise laufend nach. Die Preisvorteile werden tagesaktuell an die Kunden weitergegeben.

 

Im Video-Interview sagt Martin Wittwer, der seit 14 Jahren an der Spitze von Tui Schweiz steht, weshalb ihn die Tourismuswelt fasziniert. Zudem äussert er sich zum Potenzial der Türkei als Tourismusdestination und zu den Reisetrends für Weihnachten und Frühjahr 2014.

Martin Wittwer (52) stammt aus Sigriswil (BE) und ist seit 1999 CEO von Tui Suisse, dem umsatzmässig drittgrössten Reiseunternehmens in der Schweiz hinter Kuoni und der Hotelplan. Wittwer absolvierte eine KV-Lehre und arbeitete anschliessend im Verkauf eines Berner Handelsunternehmens für Metall. Nach der Zeit als Surf- und Sportlehrer auf Sardinien fand er Mitte der 80er Jahre über Kuoni den Einstieg ins Reise-Business.

Das Interview und das Video entstanden im Rahmen einer Pressereise, zu der Tui Suisse nach Dalaman in der Türkei eingeladen hatte.