Es ist Ihr letztes Jahr bei der UBS. Können Sie in der Krise überhaupt gehen?

Sergio Ermotti: Ich habe mit einer Krise angefangen und höre mit einer Krise auf – insofern ist die Sache kohärent (lacht). Wir haben viel in Bereiche wie Technologie und Ausbildung investiert und sind gut kapitalisiert. Die Bank ist auf die Krise vorbereitet, die uns zurzeit alle im Bann hält. Wir sind heute ein Teil der Lösung.

Noch Mitte Februar verzeichneten die Börsen Höchststände. Warum hat das alles niemand kommen sehen?

In den letzten Jahren sind viele Dinge geschehen, die sich zu Krisen hätten ausweiten können. Viele dachten, sie könnten immer alles kontrollieren, und haben sich daran gewöhnt, dass sich alle Probleme lösen lassen. Doch dieses Mal ist es anders. Es geht gar nicht mehr nur um die Frage: Was passiert mit meinem Vermögen? Jetzt geht es ums eigene Leben. Alle unsere gewohnten Sicherheiten sind deshalb infrage gestellt.

Wie geht es Ihrer Familie im Tessin?

Es geht ihr gut. Wir halten die Empfehlungen strikt ein. Mit meinen Schwiegereltern kommunizieren wir per Skype. Das ist vielleicht etwas, was von der Krise bleiben wird: Wir werden das direkte Gespräch wieder mehr schätzen. Wir werden aber auch die digitalen Instrumente wie Skype, die wir in der Krise so intensiv nutzen, viel öfter einsetzen als zuvor.

Kann man heute schon Lehren aus der Krise ziehen?

Über 80 Prozent der UBS-Mitarbeitenden arbeiten im Homeoffice. Und wir stellen fest: Es funktioniert, aber ist natürlich nicht immer ideal. Wir werden mit Sicherheit eingespielte Kommunikationsmuster überdenken. Viele Unternehmen werden sich fragen: Wie viel reisen wir eigentlich? Brauchen wir alle diese Reisen wirklich, um effizient zu funktionieren?

Wie schlimm wird es mit der Schweizer Wirtschaft?

Das kann niemand ernsthaft voraussagen. Das Bruttoinlandprodukt wird wohl im zweiten Quartal einstellig und die Wertschöpfung in einzelnen Branchen gar im hohen zweistelligen Bereich einbrechen. Sie sehen: Es ist zurzeit absolut unmöglich, für 2020 eine exakte Prognose zu machen.

Wer gehört zu den Verlierern?

Wenn sich die Leute in der Krise an die neuen Technologien gewöhnt haben und von zu Hause aus arbeiten, könnte es schwieriger werden für traditionelle Geschäfte. Und wenn sich die Firmen fragen werden, ob sie wirklich so viele physische Arbeitsplätze brauchen, weil man vermehrt auch von zu Hause aus arbeiten kann, könnte das beispielsweise auch Auswirkungen auf den Immobiliensektor haben.

Sind die vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen zur Eindämmung des Erregers angemessen? Oder verursacht die Therapie grösseren Schaden als das Virus?

Die Gesundheit hat jetzt Vorrang. Es wäre unverantwortlich, die Anordnungen des Bundesrats in den kommenden Wochen nicht zu befolgen. Es wird natürlich der Punkt kommen, an dem man die Vor- und Nachteile der Einschränkungen wird abwägen müssen. Aber diese Diskussion wird nicht von oben angestossen werden. Irgendwann werden die Menschen sich an die Situation gewöhnen und zu einer Normalität zurückkehren wollen. Dann werden sie die Risiken in physischen, ökonomischen oder mentalen Gesichtspunkten abwägen.

Wann wird dieser Zeitpunkt kommen?

Das weiss ich nicht. Wir brauchen auf jeden Fall noch mehrere Wochen, um die Situation zu verstehen und unter Kontrolle zu bringen. Es gibt zwei extreme Fraktionen: Die einen machen viel Lärm um die wirtschaftlichen Auswirkungen, die anderen wollen die totale Einschränkung von allem. Beide Positionen sind sehr gefährlich.

Welches ist Ihre Position?

Ich stehe in der Mitte. Es geht jetzt primär um die Gesundheit der Menschen. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft werden uns noch lange beschäftigen.

Würden Sie auch einem kompletten Shutdown zustimmen, wenn der Bundesrat einen solchen als notwendig erachtet?

Wenn das nötig ist, stimme ich einem Shutdown zu. Der Bundesrat müsste natürlich verständlich machen, warum das nötig ist.

Jetzt sind wir im Lockdown. Unzählige KMU sind in Gefahr. Die Kreditvergaben laufen auf Hochtouren. Wie viele Kredite hat die UBS mittlerweile gesprochen?

Bis jetzt sind es 23000 Anträge im Umfang von 1,8 Milliarden Franken. Die Kredithöhe beträgt durchschnittlich 200 000 Franken.

Gibt es bereits Anträge für Kredite von über einer halben Million?

Der allergrösste Teil betrifft Kredite darunter. Bei den höheren Beträgen gibt es einerseits Kredite bis zu 20 Millionen Franken, aber ausserhalb des Programms auch Anträge von multinationalen Konzernen, die weit über diesen Betrag hinausgehen. Wir haben also alles: von sehr kleinen Beträgen bis zu Milliardenkrediten.

Kann man so die KMU retten?

Ich hoffe es. Ziel der Aktion ist, dass die Firmen sozusagen überwintern und so die Krise überstehen können.

Können diese Firmen den Kredit zurückzahlen, wenn der Winter vorüber ist?

Natürlich verschulden sich die Firmen, aber die Zinsen auf diese Kredite sind null. Sie sind also wenigstens keine Last für den Cashflow. Hinzu kommt: 80 Prozent der Kunden, die jetzt Sofortkredite bei uns aufgenommen haben, waren bis jetzt nicht verschuldet.

Und doch ist klar: Das Milliardenpaket des Bundes war ein guter Deal, auch für die Banken.

Auch wenn einige Zyniker das Gegenteil behaupten, wir werden keinen Rappen verdienen an diesem Geschäft. Und wir haben keine Liquiditätsvorteile. Wir profitieren also nicht. Sollte doch ein Gewinn anfallen, dann spenden wir ihn.

Die Finanzmarktaufsicht hat die Banken zur Mässigung aufgerufen. Trotzdem schüttet die UBS Dividenden im Umfang von 2,6 Milliarden Dollar aus. Das verstehen viele Leute nicht.

Wir haben das sorgfältig geprüft. Die UBS ist kapitalstark und strategisch gut positioniert. Wir sind in der Lage, die versprochene Dividende zu bezahlen und gleichzeitig die Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen. Es geht ja ums Jahr 2019. Was für 2020 gelten soll, werden wir im nächsten Jahr beurteilen.

Wie sieht es bei den Boni aus? ABB hat bereits angekündigt, für 2020 auf Boni zu verzichten.

Wir müssen flexibel bleiben, aber gleichzeitig die neue Realität anerkennen. Heute schon vorauszusagen, was dieses Jahr noch alles auf uns zukommt, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Was also für 2020 gilt, werden wir später sehen.

Im November wird der Niederländer Ralph Hamers Ihre Nachfolge antreten. Sie haben den Amerikaner Tom Naratil favorisiert. Sind Sie trotzdem zufrieden?

Ralph Hamers ist ein erfahrener Banker. Vor allem kann er auf ein starkes und erfahrenes Team zählen. Und übrigens, was alle unsere Mitarbeiter in den letzten Monaten geleistet haben, ist grossartig.

Dieses Interview erschient zuerst im «Blick» auf unter dem Titel «Wenn nötig, stimme ich einem Shutdown zu».