Nach ukrainischen Angaben wurden am Sonntag bei einem russischen Luftangriff auf eine Militärbasis nahe Lwiw mindestens 35 Personen getötet und 134 verletzt. Russland habe rund 30 Raketen auf den Stützpunkt in Jaworiw im Westen der Ukraine abgefeuert, teilte die regionale Militärverwaltung mit. Einige davon seien abgefangen worden. Unterdessen kommen nach Angaben beider Konfliktparteien die Verhandlungen voran. Deutschland stellt sich auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ein.

Auf der Militärbasis in Jaworiw hatten zuletzt ausländische Ausbilder gearbeitet. Ein Nato-Vertreter sagte jedoch, Personal der westlichen Verteidigungsallianz sei am Sonntag nicht vor Ort gewesen. Die Ausbildungsbasis ist 360 Quadratkilometer groß und damit eine der größten des Landes. Sie befindet sich weniger als 25 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Reuters konnte zunächst nicht alle Angaben überprüfen. Einem Reuters-Augenzeugen zufolge verließen 19 Krankenwagen die Militärbasis, über der schwarzer Rauch aufstieg. Weitere sieben Ambulanzen waren auf dem Weg zu der Einrichtung.

Auf dem angegriffenen Stützpunkt hat die Ukraine, die nicht Mitglied der EU und der Nato ist, immer wieder Übungen zusammen mit dem westlichen Verteidigungsbündnis abgehalten. Die letzte Übung vor der russischen Invasion war im September. Bislang versucht die Nato, nicht aktiv in den Krieg hineingezogen zu werden. Der Westen unterstützt die Ukraine aber mit Waffen und milliardenschweren Finanzhilfen. Laut ukrainischen Medien sind alle ausländischen Militärausbilder Mitte Februar abgezogen worden, haben ihre Ausrüstung jedoch vor Ort gelassen.

Der Kreml äußerte sich zunächst nicht. Seit dem 24. Februar greift Russland die Ukraine an. Die russische Regierung spricht von einer "militärischen Spezialoperation", deren Ziel eine Entfernung von "Nazis" und eine Demilitarisierung der Ukraine seien. Mehr als 2,5 Millionen Menschen sind bereits ins Ausland geflüchtet. Der Westen hat weitreichende Sanktionen gegen Russland verhängt. Nach russischen Angaben wurden rund 300 Milliarden Dollar eingefroren. Das sei fast die Hälfte der 640 Milliarden Dollar, die Russland als Gold- und Währungsreserven angelegt gehabt habe.

 

RUSSLAND UND UKRAINE: FORTSCHRITTE IN VERHANDLUNGEN

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak erklärte in einem Video, Russland verhandle konstruktiver als bisher und habe begriffen, dass die Ukraine keine grundsätzlichen Zugeständnisse mache. Er rechne mit ersten Ergebnissen in den kommenden Tagen. Der russische Unterhändler Leonid Sluzki erklärte der Agentur RIA zufolge, beide Delegationen könnten bald zu einer gemeinsamen Position kommen. Seit Verhandlungsbeginn habe es substanzielle Fortschritte gegeben. Auch nach Darstellung der USA zeigt Russland eine stärkere Bereitschaft zu ernsthaften Gesprächen. Die USA machten starken Druck, eine Feuerpause durchzusetzen, sagte die stellvertretende Außenministerin Wendy Sherman dem Sender Fox News. Der Druck zeige allmählich Wirkung.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in einer Videobotschaft, fast 125.000 Menschen seien über humanitäre Korridore aus umkämpften Gebieten evakuiert worden. Ein Schwerpunkt sei die Hafenstadt Mariupol, wo 400.000 Menschen eingeschlossen seien. Nach Angaben der Stadtverwaltung vom Sonntag wurden seit Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2.187 Einwohner getötet. Mehr als 100 Bomben seien auf die Stadt abgeworfen worden, davon mindestens 22 innerhalb der zurückliegenden 24 Stunden. Die Reserven an Lebensmitteln und Wasser gingen zur Neige.

Die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Ljudmyla Denissowa warf Russland den Einsatz verbotener Phosphormunition vor - und damit ein Kriegsverbrechen. Diese Munition sei bei einem Angriff auf die Ortschaft Popasna in der Region Luhansk verwendet worden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte Russland in der "Welt am Sonntag" vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen.

Papst Franziskus forderte vor Tausenden Gläubigen erneut ein Ende des Kriegs. Bombenangriffe auf Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen seien barbarisch. "Im Namen Gottes bitte ich euch: Stoppt dieses Massaker."

Unterdessen versuchten die russischen Streitkräfte nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums, die ukrainischen Truppen im Osten des Landes zu umzingeln, indem sie von Charkiw im Norden und Mariupol im Süden vorrückten. In der südukrainischen Hafenstadt Mykolajiw wurden nach Angaben des Regionalgouverneurs Witali Kim am Sonntag mindestens neun Menschen bei Luftangriffen getötet.

Am Samstagabend hatte Selenskyj gesagt, seine Streitkräfte hätten der russischen Armee die größten Verluste seit Jahrzehnten zugefügt. 31 russische Bataillone seien außer Gefecht gesetzt worden. Jetzt schicke Moskau neue Truppen. Sollten sie versuchen, Kiew einzunehmen, drohe ihnen ein Kampf bis zum Tod.

BUNDESBEAUFTRAGTE: KEINE OBERGRENZE FÜR FLÜCHTLINGE

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, sicherte eine unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine zu: "Deutschland wird allen Menschen Schutz bieten, die aus der Ukraine zu uns fliehen", sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Eine genaue Zahl kann niemand vorhersagen." Über 100.000 Menschen sind bereits nach Deutschland gekommen, vermutlich aber noch deutlich mehr.

Wegen des Kriegs sind Energie- und Lebensmittelpreise weltweit deutlich gestiegen. Um die Lage in Deutschland zu lindern, sprach sich Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang in der "Bild am Sonntag" für eine schnelle Einführung eines Energiegeldes zur Entlastung der Bürger aus. Bundesfinanzminister Christian Lindner kann sich als Reaktion auf den Krieg Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee vorstellen. "Wir müssen die Festlegung des Koalitionsvertrages, in der Nordsee den Abbau von Öl und Gas nicht fortsetzen zu wollen, hinterfragen", so der FDP-Chef im "Tagesspiegel". Eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für Benzin und Diesel lehnte er erneut ab. 

(Reuters)