Der in London und früher in der Schweiz im Exil lebende ehemalige Chef der Yukos Oil und einst reichster Mensch des Landes sagte, der der Weste verstehe diese Sicht nur noch nicht. Die USA und andere Grossmächte verschärfen Sanktionen gegen Moskau, liefern Waffen an Kiew und bilden das ukrainische Militär aus. Daher sehe Putin sein Land im Grunde im Krieg mit Amerika und Europa auf ukrainischem Boden, sagte Chodorkowski in einem Bloomberg-Interview in Washington.

Das westliche Argument lautet, der Konflikt in der Ukraine und seine mögliche Ausbreitung auf Nato-Gebiet sei eine harte Trennlinie. Für Putin sei das jedoch eine Nuance, die ihm wenig bedeute, sagte Chodorkowski. In den frühen 2000er Jahren hatte er sich mit Putin überworfen und danach fast ein Jahrzehnt im Gefängnis verbrachte. Danach ging er ins Exil.

"Putin hat von Anfang an gesagt, dass dieser Krieg sie einschliesst", sagte der 58-jährige. Putin "glaubt, dass die Nato schwach ist und die baltischen Staaten nicht verteidigen wird", wenn Russland diese ehemaligen Mitglieder der Sowjetunion angreift. In diesem Fall, so Chodorkowski, glaube Putin, die Nato werde zusammenbrechen. Der weltweite Einfluss der USA würde damit schrumpfen.

Vertreter der USA und der Nato haben wiederholt erklärt, dass sie sich an die zentrale Charta des Bündnisses halten würden, die einen Angriff auf einen Staat als Angriff auf alle Staaten der Nato definiert. Die Ukraine ist jedoch kein Mitglied, daher weigern sich andere Länder, eigene Soldaten in das Land zu entsenden oder etwa eine Flugverbotszone durchzusetzen. Diese würde womöglich als Offensivmassnahmen gegen Russland gewertet, was den Krieg effektiv ausweiten könnte.

Chodorkowski lobt Joe Bidens Warnungen an Putin

Russland argumentiert, die Osterweiterung der Nato sei zu einer existenziellen Sicherheitsbedrohung geworden, obschon die Ukraine nicht ernsthaft für eine Mitgliedschaft in Betracht gezogen wurde.

Da der Krieg nun schon den zweiten Monat andauert, ist Chodorkowski der Meinung, dass die USA Putin "eine konsequente Politik der Stärke" entgegenstellen müssten. Wirtschaftssanktionen alleine würden ihn nicht abschrecken. Obwohl der Westen das hofft, dürften auch Sanktionen gegen die derzeitigen russischen Milliardäre keinen großen Einfluss auf seine Überlegungen zum weiteren Vorgehen in der Ukraine haben.

Chodorkowski weilte in Washington, wo er sich am Freitag mit der stellvertretenden US-Aussenministerin Victoria Nuland und am Dienstag mit Vertretern des Nationalen Sicherheitsrates traf. Chodorkowski traf auch Experten des Atlantic Council und sagte, er sei über Putins Geisteszustand befragt worden und wie er die Entwicklung des Krieges sehe. Zuvor habe er “wichtige Leuten” in Deutschland getroffen.

Der ehemalige Manager lobte Joe Bidens Warnungen an Putin vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Das sei ein Beispiel für effektive Kommunikation mit Putin. Er glaube zwar, ein Großteil der Welt habe Bidens Äußerungen, wonach Putin Russland nicht länger regieren solle, falsch interpretiert, aber die Äußerung sei dennoch wichtig gewesen.

"Wenn die USA eine moralische Führungsrolle einnehmen wollen, müssen sie eine moralische Erklärung abgeben", sagte Chodorkowski. Biden hatte gesagt, er habe damit “die moralische Empörung zum Ausdruck gebracht, die ich empfinde”. Chodorkowski hatte laut Forbes einst ein Vermögen von geschätzten 15 Milliarden Dollar. Er gehörte zur ersten Generation russischer Geschäftsleute, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion reich wurden.

In dem Interview sagte Chodorkowski, er habe sich seit 18 Jahren nicht mehr mit Putin getroffen. Seine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche sieht er als Vergeltung für die Unterstützung politischer Parteien, die gegen den russischen Staatschef waren. Er wurde 2013 freigelassen und lebt jetzt in London. Nach seiner Freilassung wohnte er auch eine zeitlang in Jona (SG).

(Bloomberg)