"Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor." Die Zeilen aus Johann Wolfgang von Goethes "Faust" dürften so manchem Anleger momentan in den Sinn kommen, der sich von der Parlamentswahl in Grossbritannien klare Verhältnisse für die Brexit-Verhandlungen und die Richtung für das Pfund Sterling erhofft hatte.

"Seit den Wahlen ist es noch konfuser geworden und die Richtung, wohin die Reise bezüglich des Brexits geht, ist überhaupt nicht klar", sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt von der Sparkassen-Fondsgesellschaft DekaBank. Nach der Wahl am 8. Juni rutschte das Pfund um rund zwei Prozent auf 1,27 Dollar ab und verharrte bislang dort - obwohl zahlreiche Börsianer auf eine einvernehmlichere Scheidung Grossbritanniens von der Europäischen Union (EU) spekulieren.

Die britische Premierministerin Theresa May will zwar von ihrem harten Brexit-Kurs nicht abweichen, allerdings wäre ihre geplante Minderheitsregierung von der Unterstützung der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) abhängig. Experten sind allerdings skeptisch: "Es ist noch keine ausgemachte Sache, dass es zu einer Einigung zwischen den beiden Parteien kommt, und selbst wenn, dass diese lange hält", sagt Commerzbank-Devisenexpertin Thu Lan Nguyen.

Zudem könnte der Spielraum Mays in den Brexit-Gesprächen eingeengt werden. Denn die DUP-Vorsitzende Arlene Foster betonte bereits, dass die künftige Rolle Nordirlands dabei eine wichtige Rolle spielen werde. Felix Herrmann, Anlagestratege für Deutschland, Österreich und Osteuropa beim weltgrössten Vermögensverwalter Blackrock, rechnet wegen des steigenden Drucks auf May mit ihrem baldigen Rückritt und Neuwahlen innerhalb der nächsten sechs Monate.

Beim Brexit läuft die Zeit davon

Dies würde die Brexit-Verhandlungen nicht einfacher machen, erklärt Volkswirt Jan Bottermann von der Essener National-Bank. "Man darf gespannt sein, ob die Verhandlungsposition der Briten soweit geschwächt wird, dass es zumindest perspektivisch nicht doch noch ein weiteres Referendum gibt, was das ganze Projekt kippt oder zumindest massgeblich entschärft."

Dabei laufe den Briten bereits jetzt die Zeit davon, ergänzt Ralf Preusser, Chefanalyst der Bank of America Merrill Lynch (BofAML). "Sie haben im günstigsten Fall 15 Monate Zeit, um den Vertrag über den EU-Ausstieg unter Dach und Fach zu bringen. Das wird ohnehin schon sportlich." Für die Ratifizierung der Verträge müsse mit einem weiteren halben Jahr gerechnet werden. Der Termin für den Auftakt der Brexit-Verhandlungen am 19. Juni wackelt bereits. Ende März 2019 soll das Vereinigte Königreich dann offiziell aus der Staatengemeinschaft ausscheiden.

Mays zentraler Plan ist ein klarer Bruch mit Brüssel und mehr Kontrolle über die Zuwanderung ins Land. Sie will notfalls auf ein Abkommen mit der EU verzichten, sollte diese ihr hierbei nicht entgegenkommen. Bei einem "sanfteren" Brexit könnten die Briten - wie etwa Norwegen - den Zugang zum EU-Binnenmarkt behalten, müssten dafür aber einen Teil der EU-Gesetzgebung übernehmen und EU-Bürgern erlauben, im Land zu arbeiten. "Wir raten derzeit aber ab, auf einen weicheren Brexit zu setzen", so die Experten der BayernLB. "Denn zu jedem Pro-EU-Tory, der derzeit an Einfluss gewinnt, gesellt sich ein Hard Brexiteer."

«Ein Ende der Unsicherheit ist nicht in Sicht»

"Die wegen der verschiedenen Möglichkeiten steigende Volatilität beim Pfund schreckt Investoren ab", sagt BofAML-Analyst Preusser. So sei es durchaus möglich, dass der Kurs in den kommenden Monaten auf 1,20 Dollar abrutsche. Aber auch ein Anstieg über 1,30 Dollar sei möglich, sollte sich ein sanfter Brexit abzeichnen. "Die Wahrheit ist, dass die Unsicherheit mit Macht zurückgekehrt ist. Ein Ende ist nicht in Sicht", fasst es David Lamb, Händler beim Finanzdienstleister Fexco, zusammen.

Kummer bereitet Pfund-Anlegern auch die Realwirtschaft: Das Wachstum schwächelt und die Zuversicht der britischen Manager ist deutlich zurückgegangen. Zudem trieb die Abwertung des Pfund die Inflation zuletzt auf ein Vier-Jahres-Hoch.

Damit stehe der Bank von England in den kommenden Monaten ein Drahtseilakt bevor, sagt Analyst Neil Wilson vom Brokerhaus ETX Capital. "Sie muss das Risiko einer Inflation über Zielwert und deren Auswirkungen auf den Konsum gegen das Risiko, die Erholung in einem kritischen Moment für die Wirtschaft abzuwürgen, abwägen."

(Reuters)