Suzan LeVine ist eine untypische Diplomatin. Die 45-jährige Botschafterin der USA für die Schweiz und Liechtenstein nennt sich schlicht "Suzi", sie kleidet sich bunt, twittert fürs Leben gern (@AmbSuzi), ist Fan von Selfies (siehe Ende des Interviews) und schwimmt bei einem offiziellen Besuch in Basel nebenher schon mal den Rhein runter. Nach dem Studium der Ingenieurwissenschaften arbeitete LeVine, die verheiratet ist und zwei Kinder hat, bei Microsoft und bei Expedia und leitete dann ein Institut für Lern- und Neurowissenschaften an der Uni Washington. cash sprach mit LeVine letzte Woche nach ihrer Rede bei der Konferenz "Eventum" in Thun.

cash: Suzi LeVine, Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr Botschafterin der USA in der Schweiz. Was sind Ihre Erfahrungen?

Suzi LeVine: Es war bis jetzt grossartig, aus ganz verschiedener Sicht. Die Leute waren warmherzig, einladend und vor allem für eine Zusammenarbeit bereit. Sie waren offen für Themen und Fragen, die wir haben. Das beeindruckte mich sehr. Unsere wirtschaftlichen Beziehungen sind sehr eng. Die Schweiz ist ja der sechstgrösste Direktinvestor in den USA. Im Bereich Forschung und Entwicklung hält die Schweiz den Spitzenplatz bei Investitionen. Wenn ich sehe, welche Möglichkeiten bei gegenseitigen Investitionen noch bestehen, dann wird sich das Verhältnis der beiden Staaten noch intensivieren. Ein Austausch findet auch anderswo statt: Wir können vom dualen Bildungssystem in der Schweiz lernen, demgegenüber besteht hierzulande ein grosses Interesse an der Innovationskultur in den USA.

Hierzulande hat man aber bisweilen das Gefühl, dass die USA wegen des jahrelang anhaltenden Steuerstreits einen Wirtschaftskrieg gegen die Schweiz führe.

Dieses Thema bestimmt nicht die Beziehungen der Länder. Was die Beziehung definiert, ist die Tatsache, dass wir Schwester-Republiken sind. Unsere gemeinsame Basis bei der Struktur des Rechtsstaates ist fundamental. Die Basis unserer Beziehungen ist kultureller und wirtschaftlicher Natur. Was die Banken betrifft: Da geht es nicht um die Schweiz, sondern um die USA und um US-Bürger. Das US-Justizdepartement hat ja Strafen in der Höhe von ungefähr 176 Milliarden Dollar gegen Banken ausgesprochen. Bloss drei Prozent davon entfielen auf Schweizer Banken. 85 Prozent betrafen US-Banken.

Das heisst, wir in der Schweiz haben eine einseitige Sicht, was den Steuerstreit betrifft?

Es ist wichtig zu wissen: Die Bemühungen der USA laufen darauf hinaus, dass die US-Bürger ihre Steuern bezahlen müssen. Auch mit Respekt gegenüber den Rechtsgrundsätzen hier in der Schweiz glaube ich sagen zu können, dass dies die Leute auch nachvollziehen können. Gemäss den Informationen der US-Justiz soll die Angelegenheit mit den Banken der Kategorie zwei bis Ende Jahr geregelt sein. Das ermutigt mich im Glauben, dass wir danach dieses Thema hinter uns lassen können. Bei meinem Stellenantritt im Juni des letzten Jahres sprach ich von einer kleinen Wolke, die über den Beziehungen hängt. Aber ich spüre, dass sich die Wolke auflöst. Es gibt so viele andere Punkte, die viel wichtiger sind in den Beziehungen zwischen den USA und der Schweiz.

Sie glauben also nicht, dass der Steuerstreit eine dauerhaft negative Wirkung auf die Beziehung der beiden Länder hat?

Nein.

In den USA ist die 'Tax inversion' ein grosses Thema. Ein US-Unternehmen kauft eine ausländische Firma und verlegt den Steuersitz dorthin. Die Obama-Regierung beurteilt ein solches Verhalten als 'unpatriotisch'. Ist diese Rhetorik erfolgreich?

Wir sollten hierzu erst die Stärke der US-Wirtschaft erwähnen. Die Geschäfte in den USA laufen so gut wie lange nicht. Wir haben nun 65 Monate hintereinander positives Job-Wachstum im privaten Sektor. Seit Barack Obama Präsident der USA ist, wurden 13 Millionen neue Stellen geschaffen. Die Arbeitslosenquote beträgt 5,5 Prozent. Das eröffnet uns viele neue Möglichkeiten. Was das Thema 'Corporate inversion' betrifft: US-Bürger können nicht auswählen, wo sie Steuern bezahlen wollen. Und wir stellen uns auf den Standpunkt, dass die US-Unternehmen diese Wahl auch nicht haben sollten. Die US-Behörden versuchen nun, die Unternehmen punkto 'Corpoate inversions' zu entmutigen.

Ein Beispiel dazu war ja auch der US-Konzern Monsanto, der den Schweizer Saatguthersteller Syngenta kaufen wollte, um den Steuersitz dann vielleicht in die Schweiz zu verlegen. Waren Sie da im Hintergrund irgendwie in Gespräche verwickelt, um Monsanto zu 'entmutigen'?

Ich bin Regierungsvertreterin und nicht involviert in Entscheidungen und Verhandlungen auf Unternehmensebene.

Wegen der Steuerbelastung geben immer mehr Doppelbürger ihren US-Pass ab. Die USA haben die Gebühren für die Aufgabe der Staatsbürgerschaft massiv erhöht. Wie hat sich die Zahl der Schweizer, die ihre US-Staatsbürgerschaft aufgeben wollen, in diesem Jahr im Vergleich zum letzten entwickelt?

Diesbezüglich geben wir keine Zahlen bekannt. Wir hören aber oft von Leuten, die ihren Pass aufgeben, dass sie so genannte Zufallsbürger sind. Wenn Sie in den USA geboren werden, erhalten Sie den US-Pass ja automatisch. Da kann es vorkommen, dass sie US-Bürger sind, bloss weil sie während eines kurzen beruflichen Aufenthaltes Ihrer Eltern in den USA geboren wurden. Für andere US-Bürger ist es aber eine schwierigere Entscheidung, ihren Pass abzugeben. Was wir unternehmen in dieser Sache: Wir reden mit der Bankiervereinigung und verschiedenen Schweizer Banken, damit sie US-Bürger weiterhin als Kunden akzeptieren und behalten. Wir hoffen, dass wir noch in diesem Jahr weitere Fortschritte erzielen können.

Wurden Sie im Mai eigentlich vorab informiert, als die Schweizer Behörden in Zusammenarbeit mit der US-Justiz in Zürich sieben Fifa-Offizielle festnahmen?

Ich kann nicht darüber diskutieren, wer was wann erfahren hat. Wir haben aber die Zusammenarbeit mit den Schweizer Behörden in diesem Fall sehr geschätzt. Überhaupt schätzen wir die Zusammenarbeit mit den Schweizern in Sachen Sicherheit.

Einige Beobachter sind der Ansicht, dass die USA ihre Wertvorstellungen nach den Banken nun auch im Fussball durchsetzen. Das heisst, es geht im Fall Fifa den USA nicht bloss um juristische Klärung, sondern auch darum zu zeigen, dass westliche Werte von Ethik und Ehrlichkeit anderen immer noch überlegen sind. Was sagen Sie dazu?

Vergleiche stelle ich keine an. Die USA hat sehr strenge Regeln und Gesetze zur Bekämpfung von Korruption. In der Unternehmenswelt haben wir den 'Foreign Corrupt Practices Act'. Das Bundesgesetz hält etwa fest, dass sie als Unternehmensvertreter ausländischen Amtsträgern keine Geschenke machen dürfen oder zu einem teuren Essen einladen mit der Aussicht für den Zuschlag eines Geschäftes. Dank der Etablierung von fairen und nicht-korrupten Geschäftspraktiken in den USA haben Unternehmen und Regierungen erkannt, dass es grossartig ist, mit den USA Geschäfte zu machen. Dies hat sicher dazu beigetragen, dass die USA die weltweite Nummer Eins geworden ist für ausländische Direktinvestitionen.

Der Job als US-Botschafter in Bern scheint ein Sprungbrett für eine Politkarriere zu Hause zu sein. Ihr Vorgänger Donald Beyer sitzt heute im Repräsentantenhaus. Hegen Sie auch Pläne für eine Polit-Karriere?

Ich bin auf das 'Jetzt' fokussiert und nicht auf das, was als nächstes passiert. Ich möchte meinen Job in der Schweiz so gut wie möglich erledigen. Und immer, wenn ich morgens erwache, überlege ich mir: Was werde ich heute tun, um die Welt besser zu machen?

US-Botschafterin Suzi LeVine und cash-Chefredaktor Daniel Hügli beim Interview in Thun.