Die als sicherer Hafen geltende Schweizer Devise stieg am Montag wegen der Unsicherheit über die wirtschaftlichen Folgen der neuen Corona-Variante Omikron zum Euro auf den höchsten Stand seit mehr als sechs Jahren: Zeitweise war die Gemeinschaftswährung mit 1,0415 Franken so billig wie seit Juli 2015 nicht mehr. An den Sichtguthaben der Banken bei der SNB liess sich indes ablesen, dass die Notenbank in den vergangenen Wochen an den Devisenmärkten nicht im grossen Stil gegen eine Aufwertung des Franken interveniert hat.

Ökonomen und Analysten spekulieren daher, dass die im Markt als Verteidigungslinie angesehene Marke von 1,05 Franken je Euro nach vielen Jahren gefallen sein könnte. Die Notenbank selbst verfolgt seit der Abkehr von der Euro-Anbindung Anfang 2015 kein Wechselkursziel mehr. "Ein Anstieg von weniger als 100 Millionen Franken zeigt, dass die SNB die Marke von 1,05 nicht verteidigen will", sagte etwa Karsten Junius, Ökonom bei J.Safra Sarasin Bezug nehmend auf die jüngsten Daten zu den Sichteinlagen der Banken bei der Zentralbank. Der Betrag bewegt sich seit einigen Wochen um die Marke von 719 Milliarden Franken. Ein starker Anstieg der Sichtguthaben gilt als ein Indiz dafür, dass die SNB am Devisenmarkt eingreift: Die Zentralbank kauft Euro und schreibt den Banken den entsprechenden Franken-Betrag auf deren SNB-Konten gut.

Die Schweizer Währungshüter stemmen sich seit Anfang 2015 mit Devisenmarktinterventionen und rekordtiefen Negativzinsen gegen einen für die exportorientierte Wirtschaft der Alpenrepublik schädlichen Wertzuwachs des Frankens. SNB-Direktoriumsmitglied Andrea Maechler hatte am Wochenende einmal mehr die Bereitschaft bekräftigt, bei Bedarf einzuschreiten. "Wir zielen weder auf einen bestimmten Wechselkurs ab, noch auf ein bestimmtes Niveau, noch auf einen bestimmten Kurs gegenüber dem Euro oder dem Dollar, aber wir verfolgen die Entwicklung sehr genau, um die Auswirkungen auf die Wirtschaft zu sehen", sagte Maechler am Samstag zum Fernsehsender RTS.

Inflation im Zielband

Manche Ökonomen gehen inzwischen davon aus, dass die Notenbank angesichts der vergleichsweise niedrigen Teuerung in der Schweiz und der robusten Wirtschaftsentwicklung vorerst von Eingriffen am Devisenmarkt abgerückt sein könnte. Vielmehr dürfte die SNB ihr Pulver für den Fall einer raschen und massiven Aufwertung trocken halten. Wechselkurse etwas unter 1,05 Franken je Euro dürften für die Notenbank derzeit kein Grund seien, einzuschreiten, schätzt auch Thomas Stucki, Chief Investment Officer der St. Galler Kantonalbank. "Sie werden ein Unterschreiten von 1,04 bis 1,03 verhindern, dann werden sie die Interventionen verstärken."

Ähnlich sieht es Jörg Angele, Volkswirt bei Bantleon. Er führt die momentane Entspanntheit der SNB darauf zurück, dass die Inflation komfortabel im Zielband liege und auch bei einem etwas stärkeren Franken nicht gleich Deflationsgefahr bestehe. Angele schätzt ebenfalls, dass die Zentralbank bei einem Austauschverhältnis von 1,04 oder 1,03 Franken pro Euro wieder aktiv werden könnte. Für einen massgeblichen Faktor hält er dabei die Aufwertungsgeschwindigkeit. "Die Bewegung seit September entspricht schon fast fünf Prozent Aufwertung zum Euro", erklärte Angele. "Ich denke, das ist kein Tempo, das die SNB dauerhaft akzeptieren würde."

Auch ING-Ökonomin Charlotte de Montpellier zufolge könnte mit der Corona-Variante Omikron wieder schwierigere Zeiten auf die SNB zukommen. "Es besteht das Risiko einer erneuten Flucht in die Sicherheit und einer Stärkung von Währungen, die als sichere Häfen gelten - und somit auch des Schweizer Frankens", sagte sie. Sarasin-Experte Junius geht davon aus, dass die SNB eine Wertsteigerung bei 1,03 Franken stoppen wird. "Das wäre die letzte Verteidigungslinie vor der Parität."

Von der SNB gab es auf Anfrage vorerst keine Stellungnahme zur Entwicklung der Sichteinlagen und der Reaktion der Volkswirt darauf. 

(Reuters)