Nach den Prognosen von ARD und ZDF verbessert sich die SPD 25 bis 26 Prozent (2017: 20,5 Prozent). Die CDU/CSU fällt auf 24 bis 25 Prozent (32,9). Die Grünen fahren mit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin 14,5 bis 15 Prozent ein (8,9). Die FDP verbessert sich auf 11 bis 12 Prozent (10,7). Die AfD, bisher drittstärkste Kraft, kommt auf 10 bis 11 Prozent (12,6). Die Linke rutscht auf 5 Prozent ab (9,2).

Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern sich damit deutlich, die Sitzverteilung hängt aber unter anderem davon ab, ob es die Linke ins Parlament schafft. Wahlforscher weisen ausserdem darauf hin, dass die 18-Uhr-Prognosen wegen vieler Briefwähler unsicherer sein könnten als früher.

Damit zeichnet sich eine komplizierte Regierungsbildung ab. Einzig denkbares Zweierbündnis wäre eine neue grosse Koalition, die aber weder SPD noch Union wollen. Deshalb dürfte es voraussichtlich zum ersten Mal ein Dreierbündnis im Bund geben. Rechnerisch sind mehrere Konstellationen möglich, entscheidend dürfte es dabei auf Grüne und FDP ankommen.

Sollte die SPD stärkste Partei werden, gilt es als wahrscheinlich, dass Scholz ein Ampel-Bündnis mit Grünen und FDP bilden will, wie es in Rheinland-Pfalz bereits seit 2016 regiert. FDP-Chef Christian Lindner hat aber wiederholt Vorbehalte gegen eine solche Koalition im Bund angemeldet, er zieht klar die Union als Partner vor.

Sollte die CDU/CSU vor der SPD liegen, dürfte auch Laschet versuchen, eine Regierung mit Grünen und FDP zu bilden. Ein solches Jamaika-Bündnis, wie es in Schleswig-Holstein regiert, war 2017 im Bund an der FDP gescheitert. Diesmal dürften eher die Grünen bremsen. Vor allem in der Finanz- und der Klimapolitik sind die Differenzen zwischen Grünen und FDP gross. Als Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen regiert Laschet bereits mit der FDP.

Nicht ausgeschlossen ist, dass Laschet oder Scholz auch als Zweitplatzierte versuchen könnten, die Regierung zu bilden. Ein solcher Schritt wäre keineswegs neu: Willy Brandt wurde 1969 Kanzler einer sozialliberalen Koalition, obwohl die SPD nur auf Platz zwei gelandet war. Genauso war es bei Helmut Schmidt 1976 und 1980. Die CSU lehnt einen solchen Schritt allerdings ab.

Falls die Ergebnisse ausreichen, wäre auch eine rot-grün-rote Koalition denkbar. Die wird in grossen Teilen von SPD und Grünen aber skeptisch gesehen, auch wegen der tiefgreifenden Differenzen mit der Linken in der Aussen- und Sicherheitspolitik.

Die Linke muss nach den Prognosen zwar befürchten, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde verpasst, dürfte aber voraussichtlich trotzdem in den Bundestag zurückkehren. Sollte sie mindestens drei ihrer zuletzt fünf Direktmandate verteidigen, darf sie laut Grundmandatsklausel entsprechend ihres Zweitstimmenergebnisses ins Parlament einziehen.

Rechnerisch möglich, aber sehr unwahrscheinlich sind ein Bündnis von SPD, Union und FDP, wie es nun in Sachsen-Anhalt unter Führung der CDU regiert (Deutschland-Koalition), oder eine Koalition von SPD, Union und Grünen nach dem Vorbild von Brandenburg (Kenia-Koalition).

Für die Union ist das Ergebnis zum Ende der Ära Merkel in jedem Fall ein schwerer Schlag - nicht nur für die CDU, sondern auch für die CSU, deren Parteichef Markus Söder sich im Frühjahr einen erbitterten Machtkampf mit Laschet um die Kanzlerkandidatur geliefert hatte.

Dabei hatte die Union in Umfragen über weite Strecken klar vorn gelegen. Wegen des Höhenflugs der Grünen galt lange Schwarz-Grün als wahrscheinlich. Nach dem Machtkampf mit Söder, den Laschet nur mit Mühe für sich entschied, leistete er sich als Kanzlerkandidat aber zahlreiche Patzer, darunter sein Lachen im Flutgebiet, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die Flutopfer sprach.

Ähnlich erging es Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen. Nachdem die Grünen noch im Frühjahr in Umfragen zeitweise auf Platz eins gelegen hatten, verloren sie im Sommer deutlich, als Baerbock unter anderem Fehler im Lebenslauf und zu spät gemeldete Nebeneinkünfte einräumen musste. Parallel dazu wuchs der Zuspruch zu Scholz, dessen SPD in Umfragen lange Zeit bei 15 bis 16 Prozent eingemauert schien.

Der neue Bundestag dürfte so gross werden wie nie zuvor. Schon in der abgelaufenen Wahlperiode war er auf eine Rekordgrösse von 709 Sitzen angewachsen, das Soll liegt bei 598 Sitzen. Union und SPD hatten sich 2020 nur zu einer kleinen Wahlrechtsreform durchringen können. Eine grössere Reform ist erst für die Wahl 2025 geplant./shy/DP/he

(AWP)