Die Regierung in China stemmt sich erneut gegen einen Abschwung am Aktienmarkt, während die People's Bank of China, also die Zentralbank, Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpt. Dabei sind die Kurse immer noch relativ hoch, aber das Vertrauen ist weg. Der Westen schaut gebannt auf die Krise, denn um den Handelspartner und Absatzmarkt den die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt darstellt, kommen die Konzerne nicht herum. Auch nicht in der Schweiz.

Experten versuchen, so gut es geht, die Lage zu analysieren. Ein Grundproblem, das die Ökonomen sehen, sind die offiziellen Zahlen. Trotz Aktiencrash und generellem konjunkturellem Gegenwind will China weiterhin mit sieben Prozent gewachsen sein. Das Misstrauen gegenüber den Daten der Regierung ist gross.

Aber: Wie stark ziehen die Aktienturbulenzen Chinas Konjunktur nach unten? Leidet das Wachstum? Hat die Regierung die Lage überhaupt im Griff? Was genau tut sie eigentlich, um Stabilität und Vertrauen wiederherzustellen und die Bevölkerung vor Kursverlusten zu schützen? Zu folgenden Einschätzungen kommen die Spezialisten:

Gabriel Bartholdi, Leiter Aktienstrategie J. Safra Sarasin:

"In China wurde der Aktienmarkt künstlich in die Höhe getrieben, unter anderem auch durch die Regierung. Das war nicht nachhaltig und führte schliesslich zu Panikverkäufen durch Anleger, die der Situation nicht trauten. Zwar gab es zwischenzeitlich eine Stabilisierung aufgrund drastischer Massnahmen der Regierung, aber vorbei ist das Problem nicht. Das tieferliegende Thema ist, dass sich China von einer investitionsgetriebenen zu einer konsumgetriebenen Wirtschaft entwickeln will. Wenn nun der Aktienmarkt fällt, besteht das Risiko, dass der Konsum negativ beeinflusst wird.

Jedoch ist für den Konsum der Immobilienmarkt weit wichtiger als der Aktienmarkt, da mehr Volksvermögen in Immobilien investiert ist. Weil China rund 16 Prozent Anteil an der Weltwirtschaft hat, und die Wachstumsphantasien europäischer Unternehmen vor allem in China generiert werden, könnte eine abschwächende Konsumentwicklung in China einen Einfluss auf die Weltkonjunktur haben. Im Moment ist es aber schwierig abzuschätzen wie sich die Situation wirklich präsentiert, da nicht sämtliche Daten von China verlässlich sind."

Janwillem Acket, Chefökonom Bank Julius Bär:

"Der private, chinesische Einkaufsmanagerindex für die verarbeitende Industrie im Juli, der am vergangenen Freitag veröffentlich wurde, deutet auf eine Verlangsamung in den nächsten Monaten hin. Zudem sind die Industriegewinne in diesem Jahr durchschnittlich um 0,7 Prozent zurückgegangen statt gewachsen. Das hat viele Marktteilnehmer nervös gemacht. Wir sehen jetzt eine zweite Intervention durch die Regierung;  die Regulatoren in China arbeiten aber relativ chaotisch und unkoordiniert, so scheint es. Dazu kommt, dass die Wirtschaftsdaten wenig verlässlich sind.

Das Vorgehen der Regierung erinnert an den Versuch, mit der Brechstange den Absturz zu verhindern. Die jüngste Zinssenkung durch die chinesische Zentralbank kam vermutlich zu spät. Wie es weiter geht, ist sehr unklar. Auswirkungen hat ein langsameres China-Wachstum überall dort in der Weltwirtschaft, wo man sich auf grosse Abnahmen aus China eingestellt hat, also beispielsweise in der Autoindustrie oder bei den Rohstoffproduzenten. Der Preisdruck bei Rohstoffen könnte zunehmen, wenn der grösste Rohstoffabnehmer China Probleme hat. Zudem beeinflusst China die Notenbanken, für die es schwieriger wird, eine Preisstabilität bei 2 Prozent Teuerung zu erreichen. Im Endeffekt könnte die US-Notenbank Fed deswegen die schon lange erwartete Zinsanhebung noch einmal nach hinten verschieben, eventuell sogar bis Dezember."

Heinz Rüttimann, Anlagestratege Schwellenländer Julius Bär:

"Es ist schwierig, derzeit die Übersicht zu behalten. Je nach dem wird von 20 oder 30 Massnahmen gesprochen, die die Regierung nun getroffen hat, um den Aktienmarkt zu stabilisieren. Was wir nicht wissen ist, wie sich die einzelnen davon auf das Preisgefüge am Markt auswirken. Man muss also abwarten, bis eine normale Preisfindung am Markt allmählich wieder Gestalt annimmt. Worauf man nun auch schaut, ist, was die von der Regierung getroffenen Massnahmen wie Zinssenkungen zur Stabilisierung der Wirtschaft über die nächsten Monate für Spuren in der Wirtschaft hinterlassen werden.

Für die Schwellenländer in Asien ist die Entwicklung in China durchaus wichtig  - man kann es vergleichen mit Europa, wo die Konjunktur in Deutschland die Entwicklung der übrigen Länder stark prägt. Die Regierung in China hat nach wie vor finanzielle und monetäre Mittel zur Stützung und zur Stimulierung der Wirtschaft. Der Zyklus wird verlängert, weil man in Grunde genommen gar keine andere Wahl hat. Die Regierung will die Wirtschaft im Lot halten und setzt auch daran, dass sich einige Probleme durch das Wachstum lösen werden."

Felix Brill, CEO Wellershoff & Partners, Ökonom:

"Für die Weltwirtschaft erachte ich die direkten Risiken im Moment noch als überschaubar. Der Aktiencrash betrifft vor allem inländisch orientierte Anleger. In dem Teil des chinesischen Aktienmarktes, der ausländischen Investoren zugänglich ist und für den der MSCI China ein Indikator ist, waren die Bewegungen in beide Richtungen nicht so stark wie im inländischen chinesischen Aktienmarkt. Zudem haben die chinesischen Behörden in den letzten Monaten eine hohe Bereitschaft gezeigt, bei Bedarf stützend einzugreifen. Hinzu kommt, dass die private Konsumnachfrage aus China für die Weltwirtschaft immer noch verhältnismässig gering ist.

Für die chinesische Regierung warten neben den Turbulenzen am chinesischen Aktienmarkt unterdessen noch eine ganze Reihe weiterer Herausforderungen. Der geplante Umbau des chinesischen Wachstumsmodells weg von den Investitionen und Exporten hin zu mehr Konsum kommt kaum voran. Der Aktienmarktcrash ist in dieser Hinsicht ein empfindlicher Rückschlag. Die Gefahr besteht, dass die Regierung mit weiteren Eingriffen ihre Fähigkeiten und letztendlich auch ihr Glück überstrapaziert.

Nicht zuträglich sind die jüngsten Turbulenzen zudem für die Bestrebungen, das Land weiter zu öffnen und wirtschaftlich zu liberalisieren. Das Risiko, dass immer mehr Firmen und Investoren den Glauben verlieren, die chinesische Regierung könne die wirtschaftliche Entwicklung nach Belieben steuern, ist daher nicht zu unterschätzen. Das hätte dann eine ganz andere Dimension als die aktuellen Turbulenzen am Aktienmarkt."

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen-Gruppe (im cash-Börsen-Talk vom 24. Juli):

"In Asien hat man die Erschütterungen aus China gespürt. Auch der Nikkei ist für einen Moment eingeknickt. In Europa fand parallel dazu die ganze Griechenland-Problematik statt. Was wir in China erlebt haben ist eine starke Korrektur von einem sehr hohen Exzess her. Wenn man die Märkte aber anschaut, wie in Shanghai oder Shenzen - das Beispiel mit dem extremsten Aufwärts- und Fallwinkel - dann sind diese Märkte seit Jahresanfang beziehungsweise auf ein Jahr hochgerechnet in der Grössenordnung von 50 oder 60 Prozent im Plus.

Die Botschaft ist daher für mich klar: Die Korrektur kann noch weitergehen. Was wir jetzt sehen, ist vielleicht eher eine technische Geschichte. Die chinesische Regierung versucht mit allen Mitteln, die Niveaus zu halten, weil unglaublich viele Chinesen in Aktien investiert sind. Das wird auch Rückkoppelungen auf die Konjunktur haben. Ich glaube aber, dass sich die Problematik tendenziell eher als lokales, oder zumindest regionales, Problem herausstellen wird."