cash veröffentlicht diese Woche eine Interview-Serie mit Schweizern, die im Ausland wohnen und arbeiten. Sie beurteilen die Situation in ihrem Gastland - und, von aussen betrachtet, die Lage der Schweiz. Heute: Das Winzerpaar Luca und Ingrid Bein. Sie bewirtschaften seit 15 Jahren das wohl kleinste Weingut im südafrikanischen Stellenbosch und produzieren dort ausschliesslich Merlot-Weine. Zuvor arbeiteten sie beide als Tierärzte im Kanton Baselland.

cash: Vom Tierarzt zum Weinbauer - eine spannende Wandlung. Wie kam es dazu?

Ingrid und Luca Bein: Das ist eine lange Geschichte, die bis 1980 zurückreicht, als wir das erste Mal in Südafrika waren. Es gefiel uns so gut, dass wir immer wieder zurückkehrten. 1993 erstanden wir ein Stück Unkrautacker, mitten im schönsten Weingebiet von Stellenbosch. Was lag näher, als darauf Reben zu pflanzen und ein Ferienhaus zu bauen? Die Verwaltung aus der Ferne war aber problematischer als geplant, und wir mussten uns entscheiden, das Land aufzugeben oder dann selber zu bewirtschaften. So haben wir uns für das zweite entschieden, und wir haben den Entschluss bis heute nie bereut.

Was schätzen Sie an Südafrika?

In erster Linie sind wir dankbar, dass wir so privilegiert in einer der schönsten Gegenden Südafrikas leben dürfen. Wir können uns hier ein Leben leisten, wie es in der Schweiz wohl kaum möglich gewesen wäre. Das Leben in Südafrika ist sicherlich etwas chaotisch, aber gleichzeitig auch unkomplizierter als in der Schweiz. Eigeninitiative ist angesagt. Alles, was mit Internet oder via Smartphone erledigt werden kann, ist in der Regel sehr einfach. Ausgezeichnet ist auch das Strassennetz, wobei allerdings öffentliche Transportmittel praktisch inexistent sind. Und natürlich geniesst man den praktisch permanenten Sonnenschein.

Und wo liegen die Schattenseiten?

Woran wir uns als Schweizer wahrscheinlich nie gewöhnen werden, ist die verschiedene Einstellung zu Arbeit und Geldausgeben, und zwar unabhängig von der Hautfarbe. Und da die einfachen Leute - sprich die Arbeiterschaft - von der Regierung und Verwaltung zumeist im Stich gelassen werden, sind wir nicht nur Arbeitgeber, sondern auch Anlaufstelle für alle finanziellen und sozialen Nöte und Sorgen unserer Leute. Das ist nicht immer einfach.

Sie produzieren seit 1999 Merlot-Weine in der Region Stellenbosch in Südafrika. Welches war bisher Ihr bester Jahrgang?

Rückblickend war es sicher nicht unser Erstlingswein. Aller Anfang ist schwer, wir hatten ja keine Ahnung von Rebberg und Weinmachen, waren wir doch beide zuvor praktizierende Tierärzte. So absolvierten wir zuerst ein Zweitstudium in Weinbau und Önologie hier an der Universität Stellenbosch. Mit den Jahren sind wir dann zusammen mit unserem Rebberg etwas gereift in Sachen Weinqualität. Deshalb zurück zu Ihrer Frage: Wir finden die Weine seit 2008 gut gelungen und freuen uns speziell an unserem neuesten Release, dem Bein Merlot 2011.

Können Sie schon abschätzen, wie der Wein-Jahrgang 2014 wird?

Jetzt, im Dezember, ist bei uns Frühsommer. Die Trauben sind grün und haben noch gut drei Monate bis zur optimalen Reife. Da kann noch viel passieren. Wir sind momentan intensiv mit Laubarbeit und Traubenausdünnen beschäftigt, aber der Ansatz ist vielversprechend.

In Südafrika gibt es eine hohe Dichte an Weinproduzenten. Wie hebt sich Bein Wine von der Konkurrenz ab?

Wir sind zum Glück ein Miniunternehmen und arbeiten wie ehedem Winzerfamilien in der Schweiz. Das heisst: Engagement in jedem Bereich von Rebberg und Keller, Administration und Marketing. So ist unser Wein schlussendlich ein sehr persönliches Produkt. Natürlich werden auch unsere Kunden persönlich betreut, sei es hier bei einer Weinprobe im Tasting Room oder an den Weinmessen in der Schweiz, wo oft einer von uns am Stand unseres Importeurs mithilft.

Wie viel der Jahresproduktion geht in den südafrikanischen Markt und wie viel in den Export? 

Südafrikas Weinindustrie ist auf Export angewiesen, und so exportieren auch wir rund zwei Drittel unserer Produktion. Dabei sind wir sehr privilegiert und haben eine wunderbare Kundschaft in der Schweiz.

Welches sind Ihre Hauptexportmärkte?

Der grösste Teil unseres Weines wird in die Schweiz verschifft, daneben ein kleiner Teil nach Belgien, Deutschland und in den Fernen Osten. In Südafrika selber spielt unsere Swiss Connection auch eine wichtige Rolle, vor allem in Johannesburg und Namibia. Und manche Game Lodges und viele lokale Guesthouses in Schweizer oder deutschem Besitz sind treue Kunden, ganz abgesehen von den vielen sogenannten 'Schwalben', Europäer, die hier am Kap den Sommer verbringen und gerne bei uns einkaufen. 

Die Nachfrage nach Wein in Schwellenländern – insbesondere in China – nimmt deutlich zu. Macht sich dieser Boom auch bei Bein Wine bemerkbar?

Von Südafrika importiert der chinesische Markt vor allem Bulk- und Flaschenweine im unteren Preissegment, teure Qualitätsweine werden praktisch nur von den traditionellen europäischen Weinbauländern gekauft. Mit Anteilen an einer südafrikanisch-chinesischen Vertriebsgesellschaft haben wir aber tatsächlich einen Fuss in der Tür zum chinesischen Markt, aber unser Absatz ist noch eher bescheiden.

Kaufen Sie auch Weine aus Anlagezwecken?

Wozu sollten wir in Weine investieren, wenn wir selber genug davon haben, die uns Freude machen? Teure Weine kaufen wir höchstens noch zu Vergleichsdegustationen. Weine sind zum Trinken und Geniessen da. Das Spekulieren mit Genussmittel ist unseres Erachtens ein unnötiger, aber typischer Auswuchs unserer Überflussgesellschaft. Zudem schwimmen wir nicht im Geld, können aber von unserer Weinfarm leben. Und wie es sich für einen Bauern auch gehört, sind wir entsprechend konservativ: Praktisch all unser Geld ist im eigenen Geschäft und Immobilien angelegt, daneben ein kleines Aktienportfolio, das in der Schweiz verwaltet wird.

Die Wirtschaft Südafrikas kommt nur schleppend voran. Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Entwicklung für das 2014?

Leider nicht rosig. Abgesehen von China haben alle Brics-Staaten Mühe. Die Wirtschaft stockt, der Rand ist auf einem Allzeittief, und die breite Bevölkerung ist sehr unzufrieden. Leider getrauen sich die Leute nur zögernd, für alternative Parteien zu stimmen. Das heisst, der ANC und Präsident Zuma werden die nächsten Wahlen 2014 vermutlich wieder gewinnen. Für einen echten Wechsel braucht es wohl auch da noch viel Zeit.

Der ANC verliert zusehends das Vertrauen der Wählerschaft. Wird sich das mit dem Tod Nelson Mandelas noch verstärken?

Mandela war für viele tatsächlich noch ein Hoffnungsträger, den es nun nicht mehr gibt. Die Misstöne, die die Abdankung Mandelas begleiteten, sind ein Anzeichen dafür, dass die Leute langsam die Geduld verlieren. Es ist zu hoffen, dass der ANC geschwächt daraus hervorgeht und die Opposition im Lande die ihr zustehende Position ausnützen kann.

Die Apartheid wurde 1994 abgeschafft. Dennoch soll die Rassentrennung in den Köpfen der Südafrikaner weiter bestehen, heisst es. Stimmt das?

Unserer Meinung nach ist die Apartheid heutzutage vorwiegend eine materielle Angelegenheit, die aber gerne populistisch ausgebeutet wird. Einerseits ist Südafrika ein entwickeltes Land. Der Anteil von weissen Leuten, die mit all den Annehmlichkeiten leben, wie wir sie kennen, ist gross. Aber ebenso gibt es einen recht breiten Mittelstand sowie viele Reiche und zunehmend Superreiche mit dunkler Hautfarbe. Aber Südafrika ist auch ein Drittweltland mit vielen armen Leuten mit entsprechend vielen Kindern, die meisten davon schwarz oder farbig. Staatliche Institutionen wie öffentliche Spitäler und Schulen sind in einem zunehmend desolaten Zustand, und so sind viele Leute des Lesens und Rechnens unkundig, wenn sie die Schule verlassen. Der Wechsel in das neue Zeitalter harzt also noch, und es ist schwierig, im Land nachhaltig neue Jobs zu kreieren und neuen Reichtum zu schaffen. Ich glaube, Südafrika braucht einfach noch Zeit, sehr viel Zeit.

Was bedeutet Ihnen die Schweiz noch?

Viel! Abgesehen davon, dass wir noch Familie in der Schweiz haben, sind wir 'proudly Swiss' und stolz auf unseren Schweizer Pass. Aber wir sind auch 'proudly South Africans' und fühlen uns hier sehr wohl - was will man auch mehr, wir haben das Beste aus zwei Welten!

Halten Sie sich regelmässig auf dem Laufenden über die Geschehnisse in der Schweiz?

Natürlich. Dank Internet ist das heutzutage sehr einfach geworden. Das Angebot an elektronischen Informationsplattformen ist ja enorm, und so sind wir stets auf dem Laufenden über eigentlich alles, was in der Schweiz und hier passiert - und der Vergleich gewisser Geschichten von hüben und drüben ist dabei oft erfrischend.

Wie oft reisen Sie in die Schweiz?

Zwei- bis dreimal im Jahr. Da die Schweiz auch unser bester Handelspartner ist, können wir bei diesen Reisen Berufliches und Familienbesuche ideal kombinieren.

Was nervt Sie, wenn Sie in der Schweiz sind, und wo kann die Schweiz von Südafrika lernen?

Die Schweiz ist perfekt reguliert, den Leuten gehts prima, auch den weniger Privilegierten im Vergleich zu hier. Reichtum wird gezeigt, und doch scheinen viele Leute nicht zufrieden zu sein. Dagegen ist die südafrikanische Freundlichkeit und Gelassenheit beeindruckend. Es wird viel mehr improvisiert. Und wenns schief geht, macht man einen neuen Plan, ganz nach dem südafrikanischen Motto 'n'boer maak a plan'.

Das heisst?

'Ein Bauer macht einen Plan.' Wobei 'n boer nicht nur Bauer heisst, sondern auch Bure, der allgemeine Ausdruck für einen Afrikaans sprechenden Einwohner Südafrikas. Gemeint ist mit diesem Sprichwort, dass es immer irgendwie weitergeht.

Nehmen Sie als Auslandschweizer an Abstimmungen teil?

Ja, wir bezahlen auch noch Steuern und AHV in der Schweiz und denken, wir haben ein Mitspracherecht. Wenn das Couvert rechtzeitig eintrifft, stimmen wir. Einfacher wäre die elektronische Abstimmung.

Wo und wie verbringen Sie die Festtage?

Während alle Kapstädter traditionell wie die Lemminge nach Hermanus oder Plettenberg Bay in die Weihnachtsferien fahren, geniessen wir hier zu zweit die Ruhe auf der Farm mit all unseren Viechern vor einem aus Draht geflochtenen Tannenbaum.