Vor 60 Jahren, nach dem dreijährigen Krieg auf der Halbinsel, war der Süden von Korea eine der ärmsten Regionen Asiens. Die Industriezonen lagen damals im Norden des Landes, der fortan kommunistisch regiert werden sollte. Heute ist die Lage umgekehrt. Südkorea ist die viertgrösste Volkswirtschaft Asiens, die zwölftgrösste der Welt und brachte Weltkonzerne wie Samsung, LG oder Hyundai hervor.
Südkorea profitierte nicht bloss von der internationalen Aufbauhilfe. Treiber der Booms war ausgerechnet die Militärdiktatur von Park Chung Hee von 1961 bis 1979, welcher das Ziel einer blühenden Exportwirtschaft mit behördlichen Vorgaben über alles andere stellte.
Es entstand eine Art Staatskapitalismus, in welchem Familienclans bis heute die Herrschaft über wenige Riesenkonglomerate ausüben. Die 60 grössten koreanischen Konglomerate erzielen rund 70 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Sie sind also wesentliche Treiber des Wachstums, das sich auch im nächsten Jahr fortsetzen soll.
"Ich bin optimistisch und rechne mit einem Wachstum von vier Prozent für das nächste Jahr", sagt Chang Kim, Generaldirektor in der Abteilung Investitionen im koreanischen Ministerium für Handel, Industrie und Energie im Video-Interview mit cash in Seoul. "Aber auch wir hängen natürlich von globalen Wirtschaftsentwicklungen ab, wie etwa der Erholung der Eurozone."
Vier Prozent Wachstum?
Eine Wachstumsrate von vier Prozent entspräche den koreanischen Steigerungszahlen von vor der Finanzkrise. Die koreanische Zentralbank rechnete in diesem Jahr mit einem Wachstum von noch 2,6 Prozent.
Eine Rate von 4 Prozent ist zwar relativ wenig im Vergleich zu China. Doch Korea ist kein Schwellenland mehr, und die Wirtschaft hat, um die Sprache der Börsenhändler zu brauchen, einen defensiven Charakter. So wuchs Korea auch im internationalen Krisenjahr 2009 rund 0,3 Prozent.
Doch das südkoreanische Modell hat auch Schattenseiten. Dass sich das Land noch bis 2003 konsequent gegen ausländische Wettbewerber abgeschottet hatte, merkt man bis heute. International operierende Retail-Ketten, die beispielsweise in China schon längst vor Ort sind, beklagen sich über nach wie vor vorhandene Hindernisse im Binnenmarkt Südkorea. Schuld daran sich die so genannten Chaebols, also die Familienclans, welche die Konglomerate wie Samsung oder Hyundai dominieren und den Binnenmarkt abzuschotten versuchen.
Politik und Behörden haben das erkannt. Denn es regt sich auch in der Bevölkerung Unmut an den Chaebols, die trotz des grossen Anteils an der Wirtschaftsleistung des Landes bloss etwas über 10 Prozent der Arbeitskräfte im Land beschäftigen.
Die Politik machte in den letzten zehn Jahren bezüglich Öffnung Fortschritte: Beinahe schon in Rekordzeit hat Südkorea Freihandelsabkommen mit 45 Ländern abgeschlossen. Mit der Schweiz existiert ein solches seit 2006. Der Staat bemüht sich überdies massiv um Direktinvestitionen in Südkorea.
Standortvororteile von Südkorea
Chang Kim vom koreanischen Handelsministerium preist im Gespräch mit cash die Standortvorteile von Südkorea und sieht vor allem einen Trumpf: Die Nähe zu China. "In China entsteht ein riesiger und immer grösser werdender Konsumentenmarkt. Korea kann für ausländische Firmen als Basiscamp dienen, diesen Markt zu erobern." Ausländische Investoren, die in Südkorea bereits geschäftlich tätig sind, stimmen diesem Argument durchaus zu.
"Die Schweiz hat viele gute Unternehmen im Präzisionsbereich", sagt Kim. Vor allem für diese Firmen sieht Kim gute Ansiedlungsmöglichkeiten in Korea. Aber auch für Firmen aus der Pharma- und Maschinenindustrie. Generell müssten in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Südkorea eine zweite Stufe gezündet werden, meint Kim. "Wir haben seit Jahren ein Freihandelsabkommen, wir müssen jetzt einen Schritt weitergehen und gegenseitig Direktinvestitionen tätigen."
Tatsächlich sind die Schweizer Firmen in Südkorea im Vergleich zu anderen industrialisierten Ländern wohl eher untervertreten. Von den fast 100 Firmen, welche die staatliche Förderungsstelle für Investitionen in Korea (Kotra) auf ihrer Website als "Erfolgsgeschichte" anpreist, stammen nur drei aus der Schweiz (Novartis, Syngenta und Endress + Hauser).
Südkorea kann es durchaus gelingen, sich als Drehscheibe in Nordostasien zu etablieren. Die geografischen Bedingungen sind jedenfalls gut. Von Seoul aus können in einer Flugzeit von drei Stunden 61 Städte angeflogen werden, die mehr als eine Million Einwohner haben. Das gemeinsame Freihandelsabkommen, über das China, Japan und Südkorea derzeit verhandeln, könnte überdies ganz neue Wachstumsmöglichkeiten bringen.
Im Video-Interview äussert sich Chang Kim auch über die Landeswährung Won und zu den Erfahrungen mit dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und Südkorea.
Bericht und Video entstanden im Rahmen einer Pressereise, zu der Kotra (staatliche Förderungstelle für Investitionen in Korea) eingeladen hatte.