Das Weltwirtschaftsforum (WEF) und sein Gründer Klaus Schwab sehen in der Corona-Pandemie eine Chance, die Welt zu verbessern. Dazu haben sie eine Initiative namens "The Great Reset" gestartet – also den grossen Umbruch. Schwab veröffentlichte dazu – zusammen mit dem französischen Autor Thierry Malleret – ein Buch mit diesem Titel: "Covid 19: The Great Reset".

Covid-19 biete die Gelegenheit, "unsere ökonomischen und sozialen Grundlagen neu zu starten", sagte Klaus Schwab bei der Lancierung des Programms. Neben der Pandemie müssten eine Reihe von Problemen wie die Staatsverschuldung und die Klimakrise nun angegangen werden.

Und nun treffen sich die Mächtigen der Welt unter diesem Motto im kommenden Jahr – ausnahmsweise im Mai und nicht in Davos, sondern in Singapur

"The Great Reset": Das Buch selbst sorgte seit seiner Veröffentlichung im Juli kaum für Aufsehen, doch in den sozialen Medien und unter Verschwörungstheoretikern liegt der Hashtag seit Wochen schwer im Trend. Und bei Amazon liegt das Werk in Kategorien wie "Wirtschaft" und "Staatsführung und Behörden" zuverlässig unter den Top Ten.

Reaktion oder Revolution

Mit Grund? In drei Kapiteln erklären Schwab und sein Co-Autor den Makro-Umbruch (Wirtschaft, Gesellschaft, Geo-Politik, Ökologie, Technologie), den Mikro-Umbruch (Industrie und Unternehmen) sowie den persönlichen Neustart.

"Wenn es uns nicht gelingt, die tief verwurzelten Missstände in unseren Gesellschaften und Wirtschaftssystemen anzugehen und zu beheben, könnte das Risiko zunehmen, dass wie so häufig in der Geschichte letztlich ein Umbruch durch gewaltsame Erschütterungen wie Kriege oder gar Revolutionen erzwungen wird", warnt Schwab in seinem Buch. 

«Neue Normalität»

Nach Meinung der Autoren stehen wir vor einem grundlegenden Umbruch: Es gebe eine Welt "vor Corona" (BC) und eine Welt "nach Corona" (AC) mit einer "neuen Normalität". Denn die Pandemie werde einen "Systemwandel beschleunigen, der sich bereits vor der Krise abzeichnete": dazu gehört, dass die Welt sich teilweise entglobalisiert, die USA und China sich zunehmend entkoppeln, die Automatisierung sich beschleunigt, die Macht der Technologie wächst und gleichzeitig die Sorge über die verstärkte Überwachung sowie der Nationalismus und die Angst vor Einwanderung zunehmen.

Neustart des Kapitalismus

Klaus Schwab wirbt in seinem Buch für einen verantwortungsvollen Kapitalismus. Die Zeit nach der Pandemie werde eine Phase massiver Umverteilung einleiten – von den Reichen zu den Armen, von Kapital zu Arbeit. So seien die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich und die Klimakrise derzeit die grössten Herausforderungen. "Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das widerstandsfähiger, inklusiver und nachhaltiger ist", sagte Schwab in einem Interview mit der "Zeit".

So ruft der WEF-Chef zu einem Neustart des Kapitalismus auf. Schwab und seine Veranstaltung rühmten bereits seit einigen Jahren die Idee des sogenannten "Stakeholder-Kapitalismus". Demnach ist es Aufgabe der Unternehmen, nicht nur ihre Gewinne zu maximieren, sondern auch die Interessen anderer Gruppen zu berücksichtigen. Also von Stakeholdern wie ihren Beschäftigten, der Öffentlichkeit und der Umwelt.

Nun sieht Schwab die Zeit gekommen, dieses Modell umzusetzen. Das Ziel: Ein nachhaltigerer Kapitalismus, in dem alle Anspruchsgruppen der Gesellschaft in die Wertschöpfungskette einbezogen werden. Ein Unternehmen diene dann nicht nur mehr seinen Aktionären, sondern auch Mitarbeitern, Kunden, der Gesellschaft und der Umwelt. Dafür brauche es besagten Neustart. 

Aber was heisst das konkret? Damit die Tranformation gelingt, so die Autoren, braucht es: 

1. Faire Märkte: Die Regierungen sollten ihre Steuer- und Ordnungspolitik und Handelsverträge besser koordinieren, und die Bedingungen für eine Stakeholder-Wirtschaft schaffen. Je nach Land könnten dies Vermögenssteuern, der Ausstieg aus der Förderung für fossile Brennstoffe oder neue Handels- und Wettbewerbsregeln sein. 

2. Eine grünere Welt: Investitionen in Nachhaltigkeit sollten gefördert werden. Die umfassenden Ausgabenprogramme vieler Regierungen sollten dazu dienen, ein langfristig widerstandsfähigeres, gerechteres und nachhaltigeres System zu schaffen. So könnte etwa in "grüne" städtische Infrastrukturen investiert werden und Anreize für Unternehmen geschaffen werden, um ihre ökologische und soziale Bilanz zu verbessern.

3. Eine klügere Welt, in der wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftlicher Fortschritt im Einklang sind. Dazu brauche es einen neuen Gesellschaftsvertrag. Innovationen der "vierten industriellen Revolution" – ein weiteres Motto einer früheren WEF-Konferenz – sollten dem Allgemeinwohl dienen.

Konkrete Lösungen reissen die Autoren eher oberflächlich an: Sie plädieren für eine globale Ordnungspolitik, denn Covid-19, das CO2-Problem und der Klimawandel könnten nur mit einer globalen Führung gelöst werden. Wie das konkret angegangen werden soll, bleibt offen. Es ist ein etwas abstrakter Appell an die Verantwortung von Bürgern, Wirtschaftsführern und Politikern, gemeinsam die Grundlagen unseres Wirtschafts- und Sozialsystems besser auszurichten – und zwar dringend.

Abstrakter Appell an die globale Elite

Die Erkenntnis, dass kein "Stakeholder" allein unseren Planeten retten kann, ist nicht neu. Der Aufruf zu gemeinsamen Anstrengungen auf globaler Ebene ist löblich. Wenn man sich den Einfluss der Vereinten Nationen mit ihren über 190 Mitgliedstaaten mit unterschiedlichsten Interessen und Problemen ansieht, wirkt die Vision des Buches allerdings etwas utopisch.

Ob die Hunderten von Unternehmen, welche die "Great Reset"-Initiative unterstützen, den Kapitalismus auch dahingehend verändern wollen, dass es nicht mehr nur um die reine Gewinnmaximierung geht, sei dahingestellt.

Der globalen Elite aus Wirtschaft und Politik geben Schwabs und Mallerets Ideen allemal genügend Gesprächsstoff beim nächsten Treffen im Mai.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Handelszeitung unter dem Titel «The Great Reset: Was steht da wirklich drin?»