Die EZB will auf absehbare Zeit der pandemiegeschwächten Wirtschaft mit einer sehr expansiven Geldpolitik unter die Arme greifen. Dies geht aus dem geldpolitischen Ausblick hervor, den die Euro-Wächter um Notenbankchefin Christine Lagarde am Donnerstag auf ihrer Zinssitzung neu formulierten. Die Anpassung insbesondere des Ausblicks zu den Leitzinsen war notwendig geworden, nachdem sich die Euro-Wächter vor zwei Wochen im Zuge ihres Strategiechecks ein neues Inflationsziel gesetzt hatten. Die EZB strebt nun mittelfristig zwei Prozent Teuerung an. Bislang hatte das Ziel auf knapp unter zwei Prozent gelautet.

"Unsere Leitzinsen sind seit einiger Zeit nahe an ihrer Untergrenze und der mittelfristige Ausblick für die Inflation bleibt immer noch deutlich unter unserem Ziel", sagte Lagarde. Daher sei der geldpolitische Ausblick - in der Fachwelt "Forward Guidance" genannt - geändert worden. Das stiess allerdings bei mehreren Währungshütern auf Widerspruch. "Wir hatten keine Einstimmigkeit, aber wir hatten eine überwältigende Mehrheit zur Kalibrierung der Forward Guidance für die EZB-Leitzinsen", sagte Lagarde.

Die EZB will unter anderem nun ihre Leitzinsen solange auf dem aktuellen oder einem noch tieferen Niveau halten, bis zu sehen ist, dass die Inflation zwei Prozent erreicht und dann erst einmal so bleibt. Das könnte auch eine Übergangszeit von Inflationsraten moderat über zwei Prozent beinhalten. Die EZB betonte ausserdem, sie sei bereit, alle Instrumente nötigenfalls anzupassen, um zu erreichen, dass sich die Inflation mittelfristig bei ihrem neuen Ziel stabilisiert. Lagarde betonte zwar, dass damit keine Niedrigzinspolitik für eine noch längere Zeit zementiert werde. Doch manche Volkswirte sehen das anders.

ZEW-Volkswirt Friedrich Heinemann sieht darin eine deutliche Veränderung gegenüber der bisherigen Vorgehensweise. "In der heutigen Entscheidung des EZB-Rats zeigt sich, dass die veränderte geldpolitische Strategie nicht nur eine neue Rhetorik, sondern auch eine Veränderung in der Sache bringt", sagte er. Mit dem überarbeiteten zinspolitischen Ausblick immunisiere die EZB ihre Negativzinsen und die Anleihekäufe auf lange Zeit gegen einen überraschend starken Inflationsanstieg.

Zinswende nicht in Sicht

Auch Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe, rechnet damit, dass die Zeit der Ultratiefzinsen noch länger anhalten wird. "An eine Leitzinswende ist nicht nur noch lange nicht zu denken, sie ist zeitlich sogar noch gestreckt worden", erläuterte er.

Die Inflationsrate im Euro-Raum lag im Juni bei 1,9 Prozent. Für die nächsten Monate erwarten viele Experten einen Anstieg der Teuerungsrate auf Werte über dem neuen EZB-Inflationsziel. Ein Grund ist, dass das Preisniveau in Deutschland, der grössten Volkswirtschaft im Euro-Raum, im zweiten Halbjahr 2020 von der vorübergehend gesenkten Mehrwertsteuer im Kampf gegen die Virus-Krise gedämpft wurde. Dieser Effekt dürfte sich nun umkehren. Die EZB erachtet den Preisanstieg als nicht nachhaltig. Für das Jahr 2023 erwartet sie gerade einmal eine Rate von 1,4 Prozent. Damit läge das neue Zwei-Prozent-Ziel der Notenbank noch weit entfernt.

Leitzinsen bleiben auf Rekordtief

Die EZB beschloss auf ihrer Sitzung ausserdem, die Leitzinsen auf ihren aktuellen rekordtiefen Niveaus zu belassen. Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld bleibt damit weiterhin bei 0,0 Prozent. Auf diesem Niveau liegt er bereits seit März 2016. Auch am Einlagesatz von minus 0,5 Prozent rüttelte die EZB nicht. Banken müssen somit weiterhin Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken.

Die Währungshüter teilten zudem mit, dass die Ankäufe im Rahmen ihres billionenschweren Krisen-Anleihenkaufprogramms PEPP weiterhin deutlich umfangreicher ausfallen sollen als zu Jahresbeginn. Die EZB hatte das Tempo der Käufe im Frühjahr im Vergleich zum Jahresstart deutlich erhöht. Das Monatsvolumen der Käufe lag zuletzt bei 80 Milliarden Euro. Das im Frühjahr 2020 aufgelegte Programm, das Staatsanleihen, Firmenanleihen und andere Titel umfasst, wurde bereits zweimal aufgestockt. Es hat einen Gesamtrahmen von 1,85 Billionen Euro und die Käufe sollen noch bis Ende März 2022 fortgesetzt werden. 

(Reuters)