Dieses Interview ist Teil des Magazins «cash VALUE Trading 2013». Das Magazin kann hier als PDF heruntergeladen oder hier als ePaper gelesen werden.
Herr Bänziger, nach der Korrektur im Sommer waren die Börsen schleppend unterwegs. Ging der Hausse die Puste aus?
Peter Bänziger: Ganz im Gegenteil. Die Konjunkturdaten haben sich weltweit verbessert und die Erholung in der Eurozone ist rascher und deutlicher als erwartet ausgefallen. Das hat den Märkten neuen Schwung verliehen.
Wird dieser Schwung mittelfristig anhalten?
Ich rechne weiterhin mit positiven Börsen. Allerdings werden die Märkte wieder zur Normalität zurückkehren und für die nächsten zwei bis drei Jahre Renditen im einstelligen Bereich abwerfen. Die meisten Aktienmärkte sind inzwischen wieder fair bewertet.
Limitiert das nicht die Hoffnungen auf weitere Kursgewinne?
Nein, es muss sich nicht negativ auf die Preisentwicklung der Aktien auswirken. Die Folge ist, dass vor allem das Gewinnwachstum der Unternehmen die Kursentwicklung beeinflusst. Zudem hat die Vergangenheit oft gezeigt, dass Märkte kaum jemals bei einer fairen Bewertung einen Stopp eingelegt haben. Ich schliesse eine Übertreibung nach oben in den kommenden Jahren nicht aus, und davon würde der Aktionär ebenfalls profitieren.
Was heisst das für den Anleger im Hinblick auf die kommenden Monate?
Er sollte weiterhin vor allem auf Aktien setzen, zumal schon bald das viel beschworene Jahresendrally vor der Tür steht. Dieses Jahr wird der Aufwärtstrend zusätzlich durch gute Konjunkturdaten gestützt. An den Obligationenmärkten hingegen wird es wegen des anhaltenden Aufwärtstrends der Zinsen schwierig bleiben.
Bei welchen Vermögensklassen besteht Handlungsbedarf?
Bei den Obligationen sehe ich noch Möglichkeiten bei den High-Yield-Anleihen. Generell ziehe ich Unternehmensanleihen mit mittleren Laufzeiten den lang laufenden Staatsobligationen vor. Bei Edelmetallen bin ich vorsichtig. Ich befürchte, dass gerade bei Gold noch eine zweite Ausverkaufswelle kommen könnte. Bei den kotierten Immobilienfonds sind die Agios teilweise immer noch hoch, und diese werden bei einem Zinsanstieg korrigieren. Deshalb würde ich jetzt selektiv Gewinne mitnehmen.
Und bei Aktien?
Tendenziell kann die Quote noch erhöht werden, und wer bereits Aktien hat, soll in diesen bleiben. Ich empfehle aber, vor allem Aktien aus Märkten zu kaufen, die noch immer am deutlichsten unterbewertet sind – und das sind europäische Aktien.
Viele Schweizer Anleger bevorzugen heimische Titel.
Hier sehen wir aber weniger Potenzial, da der Schweizer Aktienmarkt in der Nähe der fairen Bewertung liegt. In Europa zeigen unsere Modelle deutlich mehr Aufwärtschancen.
Das derzeitige Umfeld spricht vor allem für Zykliker. Wer profitiert am meisten?
Ganz klar die Industrieunternehmen. Eine Mehrzahl von ihnen ist bei ihren Ausblicken unterschwellig ziemlich positiv. Das leicht erhöhte Zinsumfeld spricht aber auch für die Banken, die ebenfalls zu den Zyklikern gezählt werden. Diese performen in der Regel in der ersten Phase eines Aufschwungs überdurchschnittlich gut.
Ist wieder vermehrtes «Stockpicking» angesagt?
Wir stehen tatsächlich an einem Wendepunkt. Bislang lebten Anleger in der besten aller Welten. Praktisch alle Anlageklassen korrelierten, und man konnte kaum falsch investieren. Diese Gleichschaltung nimmt jetzt aber deutlich ab. Die Wahl der Anlageregionen und deren Gewichtung werden wieder wichtiger.
In welchen Regionen oder Sektoren sehen Sie die besten Renditechancen?
Telekommunikationsunternehmen sind wieder ins Rampenlicht gerückt. Das Thema ist vor allem die rege Akquisitionstätigkeit, die derzeit mit den grossen Deals stattfinden. Gleichzeitig bieten sie noch meist eine hübsche Dividendenrendite. Diese Branche ist in den letzten Jahren von den Anlegern komplett vernachlässigt worden. Jetzt realisieren Investoren, dass in dieser Branche Werte vorhanden sind. Zudem findet eine Konsolidierung statt. Hier sollten Anleger dabei sein, denn die Konsolidierung ist erst angelaufen und noch lange nicht zu Ende.
Gibt es noch weitere versteckte Perlen?
Der nächste Sektor, bei dem ich eine ähnliche Erholungsbewegung erwarte, ist der Versorgungsbereich. Die europäischen Werte sind richtiggehend «ausgebombt» und der Branche könnte schon bald neues Leben eingehaucht werden. Amerikanische Tech-Aktien könnten ebenfalls vor einer Aufwärtsbewegung stehen. Sie sind günstig bewertet und generieren sehr hohe freie Cashflows.
Die Mehrheit der Marktbeobachter sieht den Dollar stärker als den Euro. Ein weiteres Argument für Euro-Aktien?
Fundamental würde vieles für den Dollar sprechen: Der Wachstumszyklus der USA liegt vor Europa, die Zuwachsraten sind etwas höher, einzig die Inflation ist in etwa vergleichbar. Bislang gab es aber kaum Anzeichen, dass der Dollar davon profitieren könnte. Wir gehen eher davon aus, dass sich der Wechselkurs in den nächsten Monaten nicht substanziell verändern wird.
Und wie sieht es für Schweizer Anleger aus? Winken bei europäischen Aktien mittelfristig zusätzlich Währungsgewinne?
Der Euro hat sich von der Kursuntergrenze bei 1.20 Franken je Euro deutlich entfernt. Über 1.25 dürfte die Luft aber dünn werden. Sollte sich die Erholung der Eurozone weiter fortsetzen, könnte dies zu einem weiteren Aufwertungsdruck für den Euro führen. Das Potenzial nach oben schätze ich aber als relativ gering ein.
Wie lange können sich Börsianer und Unternehmen noch auf die SNB-Untergrenze stützen?
Für die nächsten zwei Jahre sehe ich keine Gefahr, dass die Untergrenze aufgehoben werden könnte. Danach wird sich die Kaufkraftparität von Euro und Franken derart annähern, dass die Untergrenze wohl aufgegeben wird. Vielleicht wird der Mindestkurs gar nicht mehr nötig sein, falls sich der Wechselkurs substanziell von der Limite wegbewegt.
Wo liegen die grössten Risiken in den kommenden Monaten?
Europa ist deutlich weniger gefährlich geworden. Die fundamentalen Probleme der Schuldenkrise sind noch nicht gelöst. Aber die Fortschritte sind erheblich, und die Ausgaben in den Problemländern wurden deutlich gesenkt. Die grösste Gefahr geht von den Schwellenländern aus. Die hohen Mittelabflüsse könnten dafür sorgen, dass einzelne Schwellenländer in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Ein zweites Risiko ist der Schwelbrand im Nahen Osten. Die Krisenherde in Syrien und Ägypten bleiben bestehen. Das ist natürlich eine latente Gefahr für den Ölpreis. Sollte dieser abrupt ansteigen, könnte dies massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Im Weiteren halte ich die extrem expansive Geldpolitik Japans angesichts der bereits heute hohen Verschuldung für gefährlich.
Peter Bänziger (54) ist seit neun Jahren Chief Investment Officer und Leiter Asset Management beim Vermögensverwalter Swisscanto, einem Gemeinschaftsunternehmen der Kantonalbanken mit 51 Milliarden Franken Kundenvermögen. Der ausgebildete Finanzanalytiker Bänziger arbeitete zuvor für die damalige Bank Leu, wo er Regionenleiter Private Banking Schweiz war.