Die Ernennung von Ralf Brandstätter zum VW-Markenchef erhöht nach Ansicht von Experten die Chancen für einen Umbau. "Es eröffnet die Möglichkeit, Dinge zu überdenken", sagte Branchenanalyst Marc-Rene Tonn vom Bankhaus M.M. Warburg.

Mit der Trennung der Führung der grössten Einzelmarke und des Volkswagen-Konzerns könne auch die Blockade gelöst werden, in die der Autobauer durch den jahrelangen Streit zwischen Konzernchef Herbert Diess und Betriebsratschef Bernd Osterloh geraten sei. Mit Brandstätter an der VW-Spitze könnten die Weichen "in der für VW üblichen Art der Kooperation zwischen Betriebsrat und Management" gestellt werden.

VW komme angesichts der schrumpfenden Pkw-Nachfrage nicht umhin, seine Strukturen zu überdenken, betonte Tonn. Das Management werde angesichts der geringeren Volumina abwägen, wie viel Personal benötigt werde. "Es gibt betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten, denen man sich stellen muss."

Machtkonzerntration nicht mehr zeitgemäss

Nach Meinung des Autoanalysten Frank Schwope von der NordLB war es an der Zeit, die Führung von Marke und Konzern wieder zu trennen. Das von Diess' Vor-Vorgänger Martin Winterkorn mit eiserner Hand praktizierte Prinzip "alle Macht in einer Hand" sei nicht mehr zeitgemäss.

"Es ist in der modernen Welt nicht möglich, dass jemand für elf Millionen Autos zuständig ist", sagte der Autoanalyst. Winterkorn, der nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals vor fast fünf Jahren zurücktrat, hatte bei Volkswagen alle Fäden in der Hand. Diess führte die zentrale Führung wieder ein, nachdem sein Vorgänger Matthias Müller sie gelockert hatte.

Experte Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler glaubt, dass Diess auch über ungeschickte Auftritte in der Öffentlichkeit gestolpert ist. Die Automobilindustrie habe nach der Diesel-Krise nicht den richtigen Ton gefunden, um bei der Politik Gehör zu finden. "Es fehlt ihr an der nötigen Demut und an Bescheidenheit, zumindest an der Bereitschaft, gewissen Dingen zuzuhören und dazuzulernen."

Gegenwind für Diess

Automanager seien gesellschaftlich relevante Personen, deren Aussagen auch ausserhalb der Wirtschaft beachtet würden. "Da muss ich sehr genau überlegen, was ich sage und welche Botschaften ich vermitteln will." Diess spüre jetzt stärkeren Gegenwind, sagte Pieper.

Volkswagen selbst erklärte am Tag nach der Aufsichtsratsentscheidung, es sei der ideale Zeitpunkt, die Zuständigkeiten an der Spitze von Marke und Konzern neu zu ordnen. "Dabei geht es vor allen Dingen darum, jetzt sowohl Konzern als auch Marke bestmöglich auf die kommenden Aufgaben vorzubereiten und die Kräfte zu bündeln." Es sei nur logisch, dass mit Brandstätter einer der erfahrensten Manager des Konzerns den VW-Vorstandsvorsitz übernehme, der als COO den Kurs der Marke erfolgreich mitgestaltet habe. Diess selbst hatte Brandstätter 2018 als seine rechte Hand bei VW installiert, um sich stärker auf seine Aufgaben als Konzernchef konzentrieren zu können.

Seine Ablösung als Markenchef zeige, dass Diess nicht bei allen Beteiligten das Mandat hatte, tiefgreifende Reformen durchzusetzen, sagte ein weiterer Experte. Die Tatsache, dass die Wahl auf Brandstätter fiel und nicht auf jemanden von Aussen, belege ausserdem, dass es keine Probleme mit der Strategie gebe. "Es ist Diess", sagte der Analyst. 

(Reuters/cash)