Der Montag, 26. August 2019, ist ein ganz besonderer Tag für Biel. Ausgerechnet die «Linken-Bastion» oder die «Sozialhilfe-Hauptstadt der Schweiz» feiert eine Bank. Nein, nicht eine Bank, sondern die grösste im Land. Die UBS hat das linke Biel zum neuen Standort für ihr Business Solutions Center erkoren.

An diesem Spätsommermorgen wird zur Eröffnung das Seidenband durchgeschnitten. Stadtpräsident Erich Fehr fuchtelt mit der Schere, dazu gibts viel Lokalprominenz – und Sabine Keller-Busse. Die UBS-Frau aus der Konzernzentrale in Zürich kam nicht mit leeren Händen. Das Bankenzentrum biete fürs erste 60 Arbeitsplätze, aber Raum gäbe es für 600. Als sie auch noch das Wortspiel «Ici c’est Bienne» zum Besten gibt, ist das Publikum vollends entzückt. Und SP-Mann Erich Fehr der am meisten beneidete Stadtpräsident des Landes. Denn alle buhlten sie um die Backoffice-Arbeitsplätze der Bank. Biel machte das Rennen. Ausgerechnet.

Keller-Busse dürfte weniger ein Beschäftigungsprogramm in der strukturschwachen Peripherie getrieben haben. Es geht um Profaneres: Kosteneffizienz. Dafür nämlich ist Chief Operation Officer Keller-Busse zuständig. Und für einiges mehr: für die reibungslose Abwicklung des Zahlungsverkehrs, für das Funktionieren der Filialen und Geldautomaten, für die Hypothekenabwicklung, für die Bewirtschaftung der Immobilien, für Ausbildung und IT, welche bei der UBS alljährlich gegen 4 Milliarden Franken verschlingt. Die Managerin hält mit ihren 30 '000 Mitarbeitenden die Bank im Dauerbetrieb. Mit ihrer übervollen Agenda ist sie die mächtigste Bankerin der Schweiz – und eine der einflussreichsten Managerinnen Europas.

 

 

Rechte Hand von Sergio Ermotti

Und sie hat gute Chancen, Konzernchef Sergio Ermotti zu beerben, sollte er in zwei, drei Jahren tatsächlich seinen Rücktritt geben. Käme sie zum Zug, wäre sie die erste Frau an der Spitze einer globalen Grossbank. Es wäre der Höhepunkt einer perfekten Karriereplanung.

UBS-Chef Ermotti hält offenkundig grosse Stücke auf sie. 2014 beförderte er sie zur Personalchefin – eigentlich ein Job, der karrieremässig aufs Nebengleis führt. Diesmal war es anders. 2016 rief er sie in die Konzernleitung und bloss zwei Jahre später vertraute er ihr den COO-Posten an, eine Schlüsselfunktion.

Ermotti will nämlich bei chronisch sinkenden Margen noch beherzter an den Kostenschrauben drehen und die Automatisierung vorantreiben. Er fordert schnell handfeste Resultate, die endlich den lahmen Aktienkurs der Bank beleben. «Alles steht auf dem Prüfstand», verkündete er kürzlich in einem Bloomberg-Interview. Es ist die Botschaft ans Bodenpersonal: Ärmel hochkrempeln. Auch die COO ist also gefordert: näher zum Kunden, tiefere Kostenbasis, Cloud-Plattform aufbauen, Komplexität eines Grosskonzerns mit Hang zur Bürokratie reduzieren.

Ein Dutzend Bälle in der Luft

Anfang September übertrug Ermotti Keller-Busse weitere Aufgaben. Nun ist sie noch Präsidentin der Region Europa, Nahost, Afrika und dafür besorgt, dass das Kundengeschäft von Lissabon bis Abu Dhabi weiterwächst. Die jüngste Aufgabenzuteilung an Keller-Busse gab intern zu reden. Die Meinung auf den Gängen: Ermotti will ihr mehr Fronterfahrung gewähren und mit der Aufgaben-Combo testen, ob sie auch für höchste Weihen taugt. Liefert sie, hat sie Rückenwind im Nachfolgerennen.

Ihr grösster interner Widersacher dürfte Iqbal Khan sein, Co-Chef der globalen Vermögensverwaltung. Er hat in den letzten fünf Jahren das Wealth Management der Credit Suisse getrimmt, die Kosten gesenkt, das Kreditvolumen erhöht und die Profitabilität verdoppelt. Diese Leistung hat das Interesse Ermottis, Schirmherr des weltgrössten Vermögensverwalters, geweckt. Was gegen ihn sprechen könnte: Der 43-jährige Ex-EY-Berater ist erst seit sechs Jahren im Banking, zudem dürfte der schrille Infight mit CS-Chef Tidjane Thiam die auf noble Zurückhaltung bedachten UBS-Granden um Axel Weber eher irritiert haben.

Kaum Angriffsfläche bietet Keller-Busse, die gegen aussen zurückhaltend auftritt. Sie ist ambitioniert, strategisch, speditiv, zupackend und mitunter pingelig, wie Gespräche mit einem Dutzend Weggefährten zeigen. Ein ehemaliger Vorgesetzter meint: «Bei ihr wird nicht lange gefackelt.» Sie denke schnell, entscheide schnell – und rede schnell. Wer nicht liefere, sagt ein anderer, der werde unter ihr nicht alt. Allerdings vermag sie ihr Drängeln mit viel Empathie abzufedern.

Sie sei es gewohnt, erzählen Mitarbeitende, ein Dutzend Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Eine Eigenschaft, die sie nicht erst seit gestern prägt. Nach dem Abitur begann die Tochter eines Deutschen und einer Schweizerin eine Kauffraulehre bei Siemens in München. Anschliessend wechselte sie an die Hochschule St. Gallen, wo sie Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Finanzwesen studierte. Dazwischen reiste sie ins heimatliche Gifhorn, ein Städtchen bei Wolfsburg, und packte im familieneigenen Gewerbebetrieb Elektro Busse GmbH an.

Mit 24 Jahren führt sie den elterlichen Betrieb

Als ihr Vater starb, unterbrach sie das Studium und übernahm die Geschäftsleitung. Eine spezielle Konstellation: Eine 24-jährige Studentin als Chefin von dreissig Handwerkern, die Kühlschränke reparieren und Lagerhallen verkabeln.
Nach einem Jahr kehrte sie nach St. Gallen zurück und schrieb eine Dissertation über strategische Unternehmensplanung. 1995, nach deren Drucklegung, verkaufte sie den Mittelstandsbetrieb. Doktorvater Cuno Pümpin hat seine umtriebige Assistentin in guter Erinnerung. Effizient, präzis, vorausschauend und belastbar – so hat sie ihn auch im grössten Stress unterstützt. «Sie war eine der Besten, wenn nicht die Beste», sagt er.

Im Seminar der Betriebswirte lernte sie Christian Keller kennen, wie sie im Vorwort ihrer Doktorarbeit erwähnt: «Grossen Dank schulde ich meinem Freund Christian.» Er habe sie über alle Höhen und Tiefen der Arbeit begleitet und stets zum Weiterforschen motiviert. Die beiden sind längst verheiratet und haben zwei Töchter im Teenager-Alter. Und sie sind in Corporate Switzerland ziemlich hochtourig unterwegs. Während sie in der Konzernzentrale der grössten Schweizer Bank wirbelt, zieht er im Chefbüro von IBM Schweiz die Fäden. Auf den ersten Blick eine heikle Konstellation, denn die Bank steht zweifellos auf der IBM-Kundenliste. Offenbar hat man allfällige Interessenkonflikte mit Ausstandsklauseln gelöst.

Ehemann Christian Keller wechselte zurück nach Zürich

Die Workload des Paares ist allemal beachtlich, die Lockerheit auch. Ihr lautes Lachen dröhnt fast täglich durch den dritten Stock an der Zürcher Bahnhofstrasse. Er wiederum antwortete einst in der «Bilanz» auf die Frage nach seiner härtesten Lebensschule: «Drei Frauen zu Hause.»

Christian Keller legte beim Tech-Riesen IBM eine steile Karriere hin. Zuerst war er Schweiz-Chef, dann stieg er zum Deutschland-Chef auf und wurde mit Zusatzfunktionen für Europa betraut. Scheinbar war er in der US-Company auf dem Weg nach oben, doch Anfang 2018 schaltete er zwei Gänge zurück und übernahm das Schweiz-Geschäft, das er bereits früher geführt hatte. Der Rückschritt nach Zürich, heisst es im Freundeskreis, war dem Familienleben geschuldet, denn exakt zur selben Zeit übertrug UBS-Chef Ermotti seiner Frau den Chief-Operation-Officer-Titel, dessen Pflichtenheft mit viel Reiserei und Überstunden verbunden ist.

Im Rennen um den UBS Chefposten

Iqbal Khan (43)

Der Co-Chef der Vermögensverwaltung soll das Geschäft rentabler und grösser machen. Wie er es bei der Credit Suisse bereits getan hat.
Sein Wechsel zur UBS diesen Herbst schlug hohe Wellen. Er gilt als gewiefter Motivator.

Tom Naratil (58)

Der Amerikaner ist seit 20 Jahren dabei. Er war Finanzchef, Amerika-Chef und ist jetzt Co-Chef der Vermögensverwaltung. Er ist ein sicherer Wert, kennt alle Zahlen und Leute. 
Sein Nachteil: Er ist nur ein Jahr jünger als Ermotti.

Suni Harford (57)

Die Amerikanerin kam von Citigroup und sitzt seit kurzen in der Konzernleitung. Sie ist neu Präsidentin der Division Asset Management. 
Intern ist sie kaum bekannt und wohnt in den USA. Sie hat nur Aussenseiterchancen.

Fronterfahrung im Banking bei der Credit Suisse

Nach Studienabschluss heuerte Keller-Busse bei der Beratungsfirma McKinsey an. Ihre Dossiers waren Detailhandel, Versicherungen und Banken, darunter der Kunde Credit Suisse. Thomas Knecht, damaliger Chef von McKinsey Schweiz, sagt: «Sie hat schnell starke Klientenbeziehungen aufgebaut.» Sie fiel auch auf durch Systematik und ihre Expertise, komplexe Projekte zügig durchzuziehen. Nicht nur: Bei den Work-Hard-Mackies war sie die erste Partnerin, die nach der Geburt der zweiten Tochter ihr Pensum auf 80 Prozent reduzierte.

Einer ihrer alten McKinsey-Kollegen war Ulrich Körner. Es ist eine Liaison, die bis heute hält. Nach zehn Jahren knochenharter Beratertätigkeit verliess sie McKinsey und folgte Körners Spuren. Dieser hatte mittlerweile bei der Credit Suisse angeheuert und stieg als COO zum zweitwichtigsten Mann hinter Bankenchef Oswald Grübel auf. Während Körner schon bald im Schlepptau von Grübel von der CS zur UBS wechselte, blieb Keller-Busse weitere zwei Jahre der CS treu. Zuständig war sie für die Schlüsselregion Zürich mit 700 Bankern und drei Dutzend Filialen.

Dort sammelte sie erstmals Fronterfahrung im Banking. Eine Herausforderung zweifellos, denn die alten Hasen aus der Vermögensverwaltung rümpften anfänglich die Nase – eine Theoretikerin, die noch nie eine Kundenhand geschüttelt hatte. Doch die Neo-Bankerin kniete sich rein, während die Wogen in der Region Zürich immer höher schlugen.

Viele Kunden mit Lehman-Brothers-Papieren im Portfolio stiegen nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank auf die Barrikaden und forderten von den Vermögensverwaltern Kompensation. Nach zwei Jahren hatte sie genug und wechselte zur UBS, wo sie wieder auf Körner traf. Und auf Lukas Gähwiler. Dieser, Chef von UBS Schweiz, machte sie zur Chief Operation Officer seiner Division. Im Heimmarkt half sie ihm bei der Umsetzung der integrierten Bank und der Digital-Offensive.

Zähmung der Investmentbanker

Bald sorgte ein nächstes Gewitter für Turbulenzen in der Grossbank. Ein Londoner Händler namens Kweku Adoboli hatte mit unautorisierten Trades 2,5 Milliarden Franken verspekuliert und landete für sieben Jahre hinter Gitter. Ein Einzelfall, aber die Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma stellte bei der Grossbank «erhebliche Kontrollmängel» fest und büsste sie mit 40 Millionen. UBS-Chef Grübel übernahm die Verantwortung fürs Debakel in London und trat zurück.

Nun schlug die Stunde von Sergio Ermotti, der auf Grübel folgte. Und jene von Keller-Busse. Denn mit der Adoboli-Affäre waren auch die Tage des obersten Personalchefs, John Bradley, gezählt. Der gelernte Investmentbanker aus New York war kaum geeignet, die Kultur einer grundsoliden, aber eher risikoaversen Vermögensverwaltungsbank, wie sie Ermotti vorschwebte, durchzusetzen. Als Bradley abdankte, bot Ermotti den HR-Chefposten, der wenig Glamour und viel Knochenarbeit versprach, Keller-Busse an. Und sie tat das, was sie bei Elektro Busse verinnerlicht hatte: nicht lamentieren, sondern anpacken, planen, umsetzen, kontrollieren, nachbessern.

Mit dem Segen von ganz oben schickte sie die bonusgetrimmten Banker in Weiterbildungsseminare zu Themen, die ihnen wenig vertraut waren: Leadership, Kulturwandel, Teamgeist, Diversität. Und sie liess die Macho-Truppe – in Absprache mit Ermotti – wissen, sie strebe im Kader einen Frauenanteil von 30 Prozent an.

Was anfänglich an der Front eher als Marotte von Trendsurfern abgetan wurde, ist heute bankweit akzeptiert. Das zeigt sich unschwer auf den Beförderungslisten, auf denen der Anteil qualifizierter Frauen stark angewachsen ist.

Man merkt: Sabine Keller-Busse, die in der Männerwelt gestählte Bankerin, lässt sich so schnell nicht von ihren Plänen abbringen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Handelszeitung unter dem Titel: «Bald UBS-Chefin? Der Weg von Sabine Keller-Busse an die Spitze».