Am 2. April, dem Tag, als die Zahl der Coronavirus-Infektionen rund um den Globus eine Million erreichte, schickten Manager von JPMorgan ihre neuesten Pläne für die Besetzung von Handelsräumen in New York an ihre Mitarbeiter.

Ein Mitarbeiter im Sales-Team bemerkte, dass ein Kollege nicht auf der Liste stand, und fragte, wo er wäre. "Corona-Stadt, USA", schrieb die Person per E-Mail zurück. Dann äusserte sich einer der Leiter für den Unternehmensanleihehandel der Bank, Nicholas Adragna, wie folgt: "Der Handelsbereich wird im Büro sein, es sei denn, sie sind krank und haben ein ärztliches Attest." Zu dem Zeitpunkt war New York bereits besonders hart von der Virusinfektion betroffen.

Mehr als 100 Mitarbeiter befanden sich in der E-Mail-Kette, in die Bloomberg Einblick hatte, und einige waren entsetzt. Kurz zuvor war es zu einem Ausbruch von Covid-19 in der JPMorgan-Zentrale in der Madison Avenue gekommen, bei dem mindestens 16 Personen in einem einzigen Handelsbereich positiv getestet wurden.

Widersprüchliche Angaben

In einer Atmosphäre, in der Milliarden Dollar Gewinn auf dem Spiel stehen, beschweren sich einige Mitarbeiter über widersprüchliche Botschaften vom mittleren und höheren Management zur Anwesenheit im Büro. Sie sagen, dass sie lieber dem Rat von Regierungsvertretern folgen würden, zu Hause zu bleiben.

"Wir haben oft gesagt, dass jeder, der sich damit nicht wohl fühlt, ins Büro zu kommen, das nicht tun muss", sagte Brian Marchiony, ein Sprecher von JPMorgan. "Wir hatten noch nie eine Richtlinie, die ein ärztliches Attest erforderte oder gar verlangte."

Diese Spannungen beschränken sich nicht auf JPMorgan. Zwar haben die Wall-Street-Banken den meisten Mitarbeitern geraten, von zu Hause aus zu arbeiten. Einige Händler und Banker im Home Office berichten, dass sie Anrufe und Nachrichten von Managern erhalten haben mit der Aufforderung, ins Büro zurückzukehren. Auch dann, wenn es in einigen dieser Büros kürzlich Infektionen gegeben hatte.

Kleine und grosse Häuser versuchen, genügend Personal vor Ort zu halten, um einen schnellen Handel zu gewährleisten. Es ist die Finanzsektor-Version eines Problems in den USA, dass "unentbehrliche" Arbeitnehmer das Gefühl haben, sich entscheiden zu müssen, ob sie ihren Job behalten wollen oder ihr Leben riskieren.

Flut von Kundenaufträgen

Einige Investmentbanken haben sich öffentlich damit gebrüstet, wieviele Mitarbeiter aus der Ferne arbeiten können. Goldman Sachs hat vor kurzem bekannt gegeben, dass nur einer von 50 Arbeitern vor Ort sei.

Aber die meisten Handelsbereiche benötigen zusätzliches Personal an Hochgeschwindigkeits-Büroterminals, um die Flut von Kundenaufträgen angesichts der schwankenden Märkte zu bewältigen. Bank of America hat mitgeteilt, dass ungefähr einer von 20 Handelsmitarbeitern im Büro sei. Bei JPMorgan ist es ungefähr jeder Fünfte im Handel.

Etwa zur Zeit der Mail der Führungskräfte des JPMorgan-Anleihenhandels veranstaltete Jason Sippel, der weltweite Leiter des Aktienhandels der Bank, eine Telefonkonferenz mit seinen Mitarbeitern. Er sagte, dass die Handelsabteilung nicht so effektiv sei, wenn zu viele Leute von zu Hause aus arbeiten, aber dass sie versuchen, die Lebensumstände der Personen zu respektieren, berichtet eine Person, die bei der Telefonkonferenz dabei war.

Händler arbeiten normalerweise auch krank

Es ist seit langem bekannt, dass Händler auch bei Krankheit zur Arbeit kommen. Aber in den letzten Wochen hat sich diese Einstellung geändert, nachdem Nachrichtensender Kühlwagen vor New Yorker Krankenhäusern und Behandlungszelte im Central Park zeigten, und Vertreter des Gesundheitswesens die Menschen baten, zu Hause zu bleiben.

Bei BGC-Partner, einem Tochterunternehmen von Cantor Fitzgerald, erhielten die Mitarbeiter letzten Monat ein Memo mit der Aufschrift "wichtig", in dem sie darüber informiert wurden, dass keine Regierungsverordnung es verbiete, ins Büro zu kommen.

"Wir bleiben offen", heisst es in dem Memo. "Die Fahrt ins Büro und die Nutzung des Nahverkehrs sind erlaubt, um von und zu unserem Büro zu kommen." Einige BGC-Mitarbeiter beschwerten sich privat darüber, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlten, weiter zur Arbeit zu kommen - auch wenn andere Memos die Möglichkeit darlegten, von zu Hause aus zu arbeiten. Ein BGC-Sprecher lehnte eine Stellungnahme ab.

Minimalbesetzung im Handelsraum

Die meisten grossen Banken verfolgten ähnliche Strategien, um die Ausbreitung des Virus bei der Arbeit zu verhindern: Sie entsandten Minimalteams in den Handelsraum und zu Notfall-Standorten und schickten den Rest nach Hause.

Aber innerhalb weniger Tage beschwerten sich Händler in Büros privat darüber, dass sich weiterhin Kollegen um sie drängten. Einige sagten, sie hätten wochenlang darauf gewartet, dass Techniker Reihen spezialisierter Terminals physisch trennen.

Ein JPMorgan-Händler in London sagte, er sei zunächst in das Untergeschoss des Firmengebäudes aus dem 19. Jahrhundert geschickt worden, wo zahlreiche Kollegen nervös Seite an Seite arbeiteten. Die Bedingungen verbesserten sich, als das Backoffice-Personal das Unternehmen verlassen durfte. Er sagte, ihm sei inzwischen auch gesagt worden, er brauche ein ärztliches Attest, um von zu Hause aus arbeiten zu können.

Beengte Ersatzbüros

Im New Yorker Büro von Natixis lagen die Nerven blank, nachdem die französische Bank Händler zu einem Standort ausserhalb der Stadt entsandt hatte, der so beengt war, dass eine soziale Distanzierung unmöglich war, sagte eine Person. Die Bank gab den Plan später auf und schickte die Leute nach Hause.

"Natixis weist jegliche Andeutung, dass die Bank ihre Mitarbeiter in Gefahr gebracht habe, entschieden von sich", sagte Daniel Wilson, ein Natixis-Sprecher in Paris, und fügte hinzu, dass alle Investmentbanking-Mitarbeiter in Amerika seit Mitte März von zu Hause aus arbeiten. "Wir haben in den USA und anderswo strenge Massnahmen ergriffen, um die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu schützen und die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen."

«Druck auf alle»

Marktschwankungen können für Banken grosse Gewinne und Verluste bedeuten. Und die meisten Führungskräfte sagen, dass es einfacher ist, die Turbulenzen von den Handelsräumen aus zu bewältigen, wo die Verbindungen schneller sind und die Kommunikation einfacher ist.

Am 26. März, dem vierten Tag des Shutdown im Bundesstaat New York, schickte Adragna von JPMorgan eine Notiz an die Mitarbeiter seines Teams. Troy Rohrbaugh, der globale Marktchef der Bank, "will weiterhin alle dazu drängen, wieder ins Büro zu kommen", erklärte Adragna darin.

Ein Rekord war gerade am Investment-Grade-Unternehmensanleihemarkt erzielt worden. Adragnas Team hatte an diesem Tag Anleihen im Wert von mehr als 3 Milliarden Dollar gehandelt, und die Argumentation lautete, dass dies nicht möglich gewesen wäre, wenn sie von zu Hause aus gearbeitet hätten.

Ein Sprecher von JPMorgan wies die Vorstellung zurück, dass Rohrbaugh irgendjemanden dazu drängen würde, ins Büro zu kommen, und sagte, der Marktchef habe auf seinen regelmässigen Telefonkonferenzen immer wieder erklärt, dass jeder, der sich nicht wohl damit fühle, nicht ins Büro kommen müsse.

(Bloomberg)