Eigentlich deutet derzeit nichts auf ein Abweichen des Fed-"Fahrplanes" hin: Der Markt geht davon aus, dass die US-Notenbank zwischen November und Januar die Reduktion der monatlichen Anleihekäufe von derzeit 120 Milliarden US-Dollar einleiten wird. Fed-Chef Jerome Powell hat wiederholt deutlich gemacht, dass es für eine Änderung der Geldpolitik zu früh sei. Der schlechter als erwartet ausgefalllene Arbeitsmarktbericht vom August von letzter Woche unterstützt seine Einschätzung, und die Märkte zeigten kaum eine Reaktion.

Beim Thema Zurückfahren der Anleihekäufe scheinen die Börsen derzeit tatsächlich "recht entspannt", sagt Jens Korte, Korrespondent von der Wall Street für deutschsprachige Medien, im cash-Börsen-Talk. Korte führt die ruhige Situation an den Börsen auch auf die verbesserte Kommunikation der US-Notenbank zurück.

Denn die Reaktion der Märkte beim Thema "Tapering" war auch schon anders. Mit Unbehagen erinnern sich viele Börsianer an den Mai 2013, als der damalige Fed-Chef Ben Bernanke überraschend die Idee einer schrittweisen Eindämmung der Geldflut ins Spiel brachte. Aktien- und Obligationenmärkte spielten dermassen verrückt, dass die Fed erst Ende 2013 eine Einschränkung der Käufe beschloss.

Ändern könnte sich die Ruhe an den Börsen allerdings schlagartig, wenn das Thema Zinserhöhung ins Spiel kommt. Und wenn das angenommenne Timing der Märkte über den Haufen geworfen wird. "Sollten die Leitzinsen in den USA schon im nächsten Jahr erhöht werden, dann kann ich mir vorstellen, dass dies die Märkte empfindlich treffen wird", sagt Korte, der am Dienstag als Keynote-Speaker am "International Structured Products Forum 2021" in Luzern auftrat.

Geldpolitik bleibt ein «Guessing Game»

Ausgeschlossen ist eine frühe Zinserhöhung nicht. Der Markt analysiert nicht bloss die Arbeitsmarktdaten, sondern schaut mit Argusaugen seit Monaten auch auf die Inflationsindikatoren. Die Teuerungsrate in den USA liegt bei mehr als fünf Prozent. Die durchschnittlichen Stundenlöhne zogen im August um 0,6 Prozent gegenüber dem Vormonat an. Löhne und Preise könnten sich gegenseitig nach oben schaukeln und die Fed unter Druck setzen, die Zinsen plötzlich erhöhen zu müssen.

Aber auch wenn die US-Notenbank die Leitzinsen wie erwartet erst 2023 erhöhen sollte, hätte dies einen Einfluss auf die Börsen, sagt Korte. "Wenn das billige Geld nicht mehr ganz so billig ist, würde dies Spuren hinterlassen". Die Geldpolitik bleibe aber ein "Guessing Game", so Korte. "Letztendlich wissen die Notenbankchefs auch nicht, was in der Zukunft passieren wird."

Schliesslich befinden sich die Notenbanken selber im grössten "Experiment" ihrer Geschichte. Nie zuvor wurden die Märkte über Jahre mit derart billigem Geld eingedeckt. Der Ausgang dieser ultraexpansiven Geldpolitik ist ungewiss, und das Zurückführen des Zinsniveaus in normalere Zustände ist eine Herkulesaufgabe für die Währungshüter weltweit.

«Wir neigen dazu, Blasen aufzubauen»

Die Geldschwemme der letzten Jahre hat fast alle Anlageklassen nach oben gespült. Dies wird kaum ohne negative Folgen bleiben. "Wenn Geld günstig angeboten wird, neigen wir dazu, Blasen aufzubauen. Sei es in Teilen des Immobilienmarktes, sei es in Teilen des Aktienmarktes", sagt Korte im cash-Interview.  Er lässt durchblicken, dass er dies für keine gesunde Entwicklung hält.

Ein Resultat der ultralockeren Geldpolitik speziell in der Coronapandemie sind auch die so genannten Reddit-Trader, eine Generation von jungen, risikofreudigen Aktienhändern, die sich gegenseitig dazu ermuntern, eigentlich belanglose und unattraktive Aktien wie Gamestop oder AMC zu kaufen und in die Höhe zu treiben.

"Die Leute, die bei dieser Gamification mitmachen, haben noch nie erlebt, wie es sich anfühlt, so richtig Geld zu verlieren", sagt Korte. Es sei ein Trend, "über den wir uns in fünf Jahren nicht mehr unterhalten werden". Die Spekulation um Gamestop & Co. hält er ebenso für "reines Rumgezocke" wie die Kryptowährungen. 

Im cash-Börsen-Talk äussert sich Korte detaillierter zu Kryptowährungen und sagt, warum er nicht viel Geld in Aktien anlegt.

Der 52-jährige Journalist Jens Korte lebt seit 1999 in New York und berichtet seither für verschiedene Medien von der US-Börse an der Wall Street. Vor seinem abgeschlossenen Studium der Volkswirtschaft und Kulturmanagement an der Freien Universität Berlin absolvierte der gebürtige Frankfurter eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Korte ist verheiratet und hat einen 14-jährigen Sohn.