cash.ch: Am Aktienmarkt spricht alle Welt über die Inflation. Wie weit beschäftigt Sie als Immobilienanalysten die jüngste Entwicklung bei der Teuerung?

Donato Scognamiglio: In den USA ist die Inflation da, in Deutschland auch. In der Schweiz ist die Mai-Inflationsrate auch positiv gewesen. Die Angst, dass die Kaufkraft schmilzt, ist vorhanden. Beton, der schon verbaut wurde, ist in einer Inflation ein guter Sachwert. Die Holzpreise stiegen zeitweise stark, teilweise wegen Knappheit, teilweise wegen Spekulation. Ein Haus, in dem Holz schon verbaut ist, wird ein interessanter Sachwert. Ein Haus wird teurer – nicht wie Geld auf dem Konto, wo das Geld an Wert verliert. Also steigt das Interesse am Sachwert Immobilien nicht nur wegen der tiefen Zinsen oder den Folgen der Covid-Krise, sondern auch wegen Überlegungen hinsichtlich des Inflationsschutzes.

Nachdem die Coronaviruskrise die Nachfrage nach Wohnraum als Anlageobjekt verstärkt hat: Akzentuiert sich dies weiter?  

Die Coronakrise hat generell zu einem Nachfrageboom bei Eigenheimen geführt. Bei Renditeliegenschaften im Bereich Wohnen werden inzwischen allerdings alle Barrieren durchbrochen.

Das heisst, sie sehen die heute bezahlten Preise als Übertreibung?

Heute zahlen Immobilienanleger an sehr guten Lagen in Zürich das 50-fache der Jahresmiete für eine Liegenschaft. In Genf wurde gar schon das 70-fache der Jahresmiete bezahlt. Es wird nur noch geschaut, was die Differenz der Mieteinnahmen zur Rendite der zehnjährigen Bundesobligation oder zum Negativzins ist. Da werden Preise bezahlt, die zwar korrekt und marktüblich sind, aber es sind auch Preise, die sehr volatil werden, wenn es eine Zinsänderung gibt.

Über Zinserhöhungen wird auch viel gesprochen, wenn auch derzeit vor allem durch die US-Notenbank Federal Reserve, kurz Fed. Dort könnten die Zinsen aus heutiger Sicht 2023 nach oben gehen.

Ja, und da kommt ja auch die Inflation wieder ins Spiel. Bei einem massiven Aufschwung – falls sich dieser weiter verfestigt – werden die Fed und auch die Europäische Zentralbank EZB wohl an der Zinsschraube drehen. Bei einem euphorischen Konjunkturaufschwung mit einer Überhitzung und Inflation droht eine Zinserhöhung. Wer jetzt zu hohen Preisen Immobilien gekauft hat, muss dann einen enormen Abschreiber vornehmen. Wenn die Zinsen um ein Prozent steigen, dann droht bei einem sehr teuer gekauften Objekt ein Wertverlust von bis zu einem Drittel. Aber die Mieten werden sich kurzfristig nicht verändern. Wenn man 30 Prozent des Werts verliert, dauert es 15 Jahre, um diese Einbusse wettzumachen.

Die Pandemiekrise scheint den Hype noch zu verstärken.

Mit Covid ist das Wohnen wichtiger geworden. Die Bedürfnisse an die Flächen im Wohnbereich ändern sich: Mehr Trennwände und andere Raumaufteilungen sind gefragt: Einzelne Zimmer, um ungestört arbeiten zu können. Offene Küchen und grosse Wohnzimmer sind weniger gefragt. Und solche Bedürfnisse könnten bleiben, denn unsere Generation wird die Erfahrung von Covid nicht löschen können. Es erinnert mich an die Kriegsgeneration: Grossmütter sparten ein Leben mit dem Gebrauch von Zucker, weil solche Güter in Kriegszeiten knapp waren. So werden auch wir die Erfahrungen der Pandemiezeit mit uns tragen. Und, die Leute wollen mehr in die Natur und in Regionen, wo Wohnungen grösser sind, weil sie damit rechnen, viel mehr Zeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen.

Lange galten Städte oder Regionen wie Zug und Genfersee als Schweizer Immobilien-Hotspots, vor allem bei Wohnimmobilien. Sehen Sie nun neue entstehen?

Die ganze Schweiz ist inzwischen ein Hotspot. Ja, es ist so! Früher sagte man: 'Lage, Lage, Lage'. Doch die Tiefzinsen sind wie ein Nebel, der jedes Tal erfasst. Korrigieren könnte dies erst, wenn die 'Baby-Boomer' wegen ihres fortschreitenden Alters ihre heutigen Objekte auf den Markt bringen. Häufig besitzen diese grosszügig ausgebaute Einfamilienhäuser. Es wird sich die Frage stellen: Wer will all die vielen grossen Häuser kaufen? In sieben bis zehn Jahren wird dies der Fall sein. Und dies wird ein grösserer Effekt sein.

Können Sie sich also ein Szenario mit sinkenden Preise bei Wohnimmobilien vorstellen?

Trotz Covid ist die Schweiz ja geradezu 'unanständig' attraktiv geblieben. In einer Grossstadt wie Zürich mit über 400'000 Einwohnerinnen und Einwohnern waren gemäss dem statistischen Amt im Jahr 2020 nur 37 Einzimmerwohnungen frei. Die Zuwanderung ist trotz Corona immer noch eine wichtige Stütze des Wohnungsmarktes. Obwohl weniger Schweizerinnen und Schweizer auswandern, betrug das Wanderungssaldo im vergangenen Jahr netto rund 56'000 Personen. Eine massive Korrektur erwarte ich kurzfristig somit nicht - aber wenn die Zinsen stark ansteigen, könnte ich mir vorstellen, dass die Preise im Jahr um 3 oder mehr Prozent sinken würden. Dann würden bei einigen Eigenheimbesitzern die Schulden mehr als 80 Prozent des Wertes der Liegenschaft ausmachen. Die Banken könnten dann zusätzliche Amortisierungen verlangen. Das hiesse: Zurückzahlen.

Oder, Hypothekarnehmerinnen und -nehmer arbeiten mit schnelleren Amortisationen dagegen. Soll man dies? 

Wer jetzt neu ein Haus gekauft hat, kann davon betroffen werden. Man spürt eigentlich erst, was in einer Krise Schulden bedeuten. Deshalb sollten Hypotheken so schnell wie möglich amortisiert werden. Man kann durchaus auch unter die Schwelle von 65 Prozent Belehnung gehen, wenn man das Kapital hat beziehungsweise nicht anderweitig risikolos besser anlegen kann. Nur: Das kann man heute nicht, jedenfalls nicht risikolos. Und: Die Steuerersparnis bei Hypothekarschulden wird meiner Meinung nach oft überschätzt.

Wie würden sich Ihrer Einschätzung nach Inflation und steigende Zinsen bei den Hypothekarzinsen auswirken?

Mit dem Szenario Inflation ist eine Zinserhöhung meiner Meinung nach sehr wohl möglich. Wenn die Fed oder die EZB die Zinsen erhöhen, dann betrifft dies auch den Schweizer Immobilienmarkt. Zum einen sind die Zinsen international nicht unkorrelliert. Wenn die Inflation steigt, wird auch die Schweizerische Nationalbank im Sinne der Preisstabilität die Zinsen erhöhen. Andererseits: Die Hypothekarzinsen in der Schweiz werden nur solange tief sein – mit eventuellen kleineren Anstiegen – wie die Fed beziehungsweise die EZB nicht an der Zinsschraube drehen. Die Preisgestaltung für die Schweizer Hypothekarzinsen hängt auch stark von den Swap-Sätzen ab. Also Zinssätze, die im Rahmen der Refinanzierung der Banken am Kapitalmarkt entstehen. Wenn die Zinsen wegen der Inflation steigen, dann reagiert dieser Markt sofort. 

Tiefzinsen machen Hypotheken ja schon seit Jahren attraktiv, aber man kann zwischen Fest- und Geldmarkthypotheken wählen: Welche sollte man denn Ihrer Meinung angesichts der heutigen Aussichten, die Sie beschrieben haben, nehmen?

Wer Sicherheit braucht und nicht übermässig Liquidität hat, sollte weiterhin eine Hypothek mit fixer Laufzeit wählen. Wer eine Zinserhöhung verkraften kann und genug Liquidität hat, ist historisch gesehen mit Libor- respektive Saron-Hypotheken extrem gut gefahren. Und mit der Bank kann man diskutieren. Die Banken stehen in einem harten Wettbewerb. Wer zu unter einem Prozent Zins eine Hypothek abschliessen kann, fährt eigentlich extrem gut. Die Kehrseite der tiefen Zinsen ist, dass man auf dem Sparheft meistens nichts mehr hat. 

Ihre Aussage kann man auch in der Richtung interpretieren, dass im Moment eigene Häuser und Wohnungen für viele Menschen trotz sehr tiefer Hypothekarzinsen gar nicht mehr leistbar sind.

Ohne Erbschaften kann man kaum noch Wohneigentum kaufen. Ein Durchschnittsobjekt kostet schnell 1,5 Millionen Franken. Man schwärmt oft vom attraktiven Schweizer Eigenheimmarkt, aber 60 Prozent in der Schweiz mieten. Für jene Mieter, die ein Haus kaufen wollen, bedeutet der aktuelle Eigenheimboom vor allem Frust.

Anders sieht es am Büromarkt aus: Dort das Angebot grösser als die Nachfrage. Zwar werden dieser Tage gerade auf breiter Front Homeoffice-Vorschriften gelockert, aber wie sehen sie mittelfristig den Bedarf an Büroraum in der Schweiz?

Nach der Coronakrise rechnen wir mit etwas mehr Flächenbedarf pro Kopf, wegen der Abstände. Auch will man wohl grössere Sitzungszimmer. Aber die Coronakrise spricht insgesamt aufgrund von mehr Homeoffice nicht für höhere Büromieten, sondern für ein Ausweiten des Überangebots, das schon vor der Coronakrise bestanden hatte. In der Flughafenregion Zürich oder in Basel mit neuen Bürotürmen mit vielen leeren Flächen kann man schon lange über Büromieten verhandeln.

Schon im ersten Corona-Lockdown vom Frühling 2020 sagten Sie zu cash.ch, dass das Homeoffice komme. Wenn man sich aber umhört, scheinen vielerorts noch keine genauen Pläne zu existieren.

Für Angestellte mag dies so scheinen. Geschäftsführer und Eigentümer jedoch überlegen sich, wie sie weiter vorgehen wollen. Man hat Büros gesehen, in denen monatelang kaum Menschen anzutreffen waren. Die Büromiete pro Kopf war wohl im Corona-Jahr die teuerste, die je bezahlt worden ist. Praktisch alle Unternehmen, die ich kenne, planen jetzt eine teilweise Einführung des Homeoffice. Viele sind dabei, ihre Konzepte zu finalisieren. Eine Rolle spielt natürlich auch die Vertragsdauer für Büros, die häufig fünf Jahre beträgt. Also stellt sich die Verlängerung einer Miete dieses Jahr für rund 20 Prozent der Unternehmen unmittelbar als Frage.

Gibt es da bald Neuigkeiten für viele mit Bürojobs?

Ich denke ja. An der Umsetzung, mit Shared Desks beispielsweise, wird jetzt gearbeitet. Ich weiss von vielen Unternehmen, die auf grössere Flächen verzichten wollen. Die Welt ist auf den Homeoffice-Geschmack bekommen. Aber in einem Punkt mache ich mir Sorgen.

In welchem?

Ob jemand in Bümpliz oder in Berlin arbeitet, ist technisch kein Unterschied mehr. Man ist noch zurückhaltend mit Job-Auslagerungen, aber mit der Zeit wird dies kommen. Alles andere würde mich überraschen. Es ist nicht nur die IT, die in Prag oder Mumbai stationiert sein kann. Im ganzen Dienstleistungsbereich sind solche Auslagerungen ein Thema. Wenn man den Gedanken durchspielt: Wir haben einen Nachteil der Globalisierung mit der Verbreitung des Virus gesehen. Die Pandemie hat uns aber auch das grosse Potential der Technologie aufgezeigt, mit der die Globalisierung, sprich die weltweite Auslagerung von Jobs, erst richtig in Fahrt kommen könnte. Wer heute in der Schweiz eine Firma gründet, fragt sich, ob er überhaupt noch gross Büroräume mieten muss.

Donato Scognamiglio ist CEO und Mitinhaber der Immobilienberatungsfirma IAZI in Zürich sowie Dozent und Titularprofessor an der Universität Bern.