Unscheinbar ragt der rötliche Bau vier Stockwerke in die Höhe, architektonisch unbedeutend und langweilig. Der Eingang befindet sich in einer Seitengasse, unmittelbar neben einem Coiffeur und der Quartierbar, deren Name in gotischen Lettern geschrieben ist.

Wir befinden uns in Luzern an der Murbacherstrasse 37 - und weder Namensschilder noch Hinweistafeln deuten darauf hin, dass sich hinter diesen Mauern das Paradies der Briefkastenfirmen in der Schweiz befindet. 

Nicht weniger als 274 dieser virtuellen Firmen - doppelt so viel wie irgendwo sonst in der Schweiz - sind an dieser Adresse untergebracht. Erst mit deutlichem Abstand folgen Orte wie Lugano, Soyhières im Kanton Jura, Fribourg, Genf und Zug, wo sich an einer einzelnen Postadresse lediglich bis zu 133 Briefkastenfirmen angesiedelt haben. Dies ergibt eine Auswertung von Orell Füssli Wirtschaftsinformationen (OFWI) aus ihrer Datenbank Infocube.ch im Auftrag von cash. 

Als Briefkastenfirmen gelten jene Gesellschaften, die im Handelsregister mit einer c/o-Adresse aufgeführt sind, da sie am Steuersitz keine eigenen Büroräumlichkeiten haben, und zudem über eine eigene Mehrwertsteuernummer verfügen. Theoretisch ist nicht jede Briefkastenfirma eine steuerprivilegierte Domizilgesellschaft.

"In der Regel ist die Schnittmenge zwischen den so genannten c/o-Gesellschaften und Domizilgesellschaften gross", sagte jüngst ein ehemaliger Innerschweizer Chefsteuerbeamter gegenüber dem "Tages-Anzeiger". Domizilgesellschaften dienen traditionell der Anonymität und der Steueroptimierung. 

Neues Briefkastenfirmen-Mekka

Luzern als neues Mekka für Briefkastenfirmen ist überraschend - allerdings nur auf den ersten Blick. Die Basis für diese Entwicklung hatte der Kanton vergangenes Jahr gelegt, als die Unternehmenssteuern auf 12,1 Prozent gesenkt wurden. Damit liegt Luzern tiefer als die benachbarten Steueroasen Ob- und Nidwalden, Schwyz sowie Zug, wo die Steuerlast für Firmen bei bis zu 14 Prozent liegt. Gemäss OFWI sind derzeit über 11 Prozent aller in Luzern gemeldeten Gesellschaften so genannte Briefkastenfirmen. 

Dazu kommt, dass ein Luzerner Treuhandunternehmen dick in diesem Geschäft mitmischt. Bättig Treuhand betreut  alleine 273 der insgesamt 274 Briefkastenfirmen an der Murbacherstrasse  - das dürfte mit grossem Vorsprung Schweizer Rekord sein.

Vor fünf Jahren hatte der Inhaber von Bättig Treuhand, Kurt Eduard Bättig, seine eigene Handelsfirma Telan umgebaut. Der neue Geschäftszweck der Firma: Interdisziplinäre Beratung von Unternehmen sowie Vermittlungstätigkeit - oder anders gesagt: Die Betreuung von Briefkastenfirmen.  Interessenten findet Bättig insbesondere bei Betreibern von Coop-Tankstellenshops quer durch die ganze Schweiz - von Bellinzona bis Basel. Dutzende seiner Kunden stammen aus dieser Ecke. 

Nicht in jedem Fall Steuererleichterungen

Gegen diese Darstellung wehrt sich Bättig : "Die Tankstellenshops werden meist von ausländischen Staatsangehörigen geführt, die wenig Ahnung von steuerlichen Formalitäten haben. Wir stellen sicher, dass der entsprechende Postverkehr an die richtigen Stellen weitergeleitet wird", sagt Bättig gegenüber cash. Steuerliche Vorteile würden diese Unternehmen keine geniessen, als so genannte Betriebsstätten zahlten sie am Sitz ihrer tatsächlichen Geschäftstätigkeit Steuern. 

Die Coop Mineralöl AG bestätigt auf Anfrage diesen Sachverhalt. "Der einheitliche Sitz der verschiedenen Coop Pronto GmbH im Kanton Luzern hat historische Gründe", schreibt Sprecherin Eliane Stoller in einer E-mail-Antwort auf eine Anfrage von cash. Die ersten GmbH seien dort gegründet worden, und das habe man bis heute beibehalten. "Aus unserer Sicht besteht kein Bedarf, diese Praxis zu ändern", so Stoller weiter. 

Allerdings ist auch Bättig Treuhand nicht abgeneigt, Interessenten zu einem Standortwechsel nach Luzern zu verhelfen - eine Sache von einigen Minuten. cash besuchte unangemeldet Bättig Treuhand und fragte nach den Formalitäten und Kosten für eine Änderung des Steuersitzes. Nach kurzer Wartezeit empfing uns ein Geschäftsleitungsmitglied und kam direkt auf den Punkt.

Demnach koste eine reine Domizilgesellschaft, bei der lediglich die Post nachgeschickt werden müsse, ab 1000 Franken pro Jahr. Bei zusätzlichen Dienstleistungen werde es teurer. Einzige erforderliche Unterlage ist eine Kopie der Statuten. Andernorts betragen die Basiskosten bis zu 2500 Franken jährlich. 

"Briefkastenfirmen nicht in unserem Fokus"

Wenig Freude an dieser Entwicklung hat Wirtschaftsförderer Walter Stalder von Luzern Business. "Der Zuzug von Briefkastenfirmen aus dem In- und Ausland steht nicht in unserem Fokus. Wir möchten Firmen nach Luzern begleiten, die hier Arbeitsplätze schaffen, unser Steuersubstrat erhöhen und ein positives Image repräsentieren."

Dass nun ausgerechnet die virtuellen Firmen ein rasantes Wachstum hinlegen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Zu oft hatte in der Vergangenheit der grösste Innerschweizer Kanton das Briefkastenfirmen-Image des Nachbarorts Zug belächelt. 

Noch ist Luzern aber entfernt, auch gesamtschweizerisch die Spitzenposition im Briefkastenfirmen-Ranking zu übernehmen. Gemäss einer Auswertung, die der "Tages-Anzeiger" im Mai vorgenommen hatte, liegt Zürich schweizweit an der Spitze. In keinem anderen Kanton liegt der Anteil der Briefkastenfirmen an der Gesamtzahl aller registrierten Gesellschaften so hoch. Auf Platz zwei folgt Schwyz, Luzern erscheint auf dem dritten Platz. Zug hingegen ist aus den Top 5 herausgefallen. 

 

Die Top-Ten-Adressen der Schweizer Briefkastenfirmen

AdresseAnzahl Firmen
Luzern, Murbacherstrasse 37274
Lugano, riva Giocondo Albertolli 1133
Soyhières JU, Chemin du Château 26A123
Genf, rue des Bains 35119
Fribourg, boulevard de Pérolles 7111
Zug, Baarerstrasse 8107
Zug, Baarerstrasse 75104
Fribourg, rue Hans-Fries 1101
Zug, Baarerstrasse 7896
Baar, Rathausstrasse 1896

Quelle: Infocube (Orell Füssli Wirtschaftsinformationen)