Die wirtschaftliche Erholung in Europa dauere an, allerdings viel langsamer als erwünscht. "Zudem ist das Risiko, dass es zu Deflationsproblemen oder zu einer langen Phase mit sehr niedriger Inflation kommt, im Moment grösser als zu Jahresbeginn", sagt Stephanie Flanders, Markstrategin bei J.P. Morgan, im cash-Video-Interview.

Die nochmalige Senkung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank (EZB) Anfang September auf nunmehr 0,05 Prozent werde wohl keine neuen starken Folgen auf die Finanzmärkte mit sich ziehen, sagt Flanders. Die Zeichen, die EZB-Präsident Mario Draghi setzte, seien aber wichtig: "Eindeutig sandten die Ankündigung, Anleihen zu kaufen und die Zielsetzung, die EZB-Bilanz auf das Niveau von vor einigen Jahren aufzustocken, eine wichtige Botschaft an die Finanzmärkte."

Damit zeige die EZB, dass sie ihre Rolle für den Wiederaufstieg der europäischen Wirtschaft zu spielen gedenke. Der Ball liege nun bei der Politik, denn die EZB-Massnahmen alleine würden langfristiges Wirtschaftswachstum noch nicht garantieren: "Die Frage, die ich stelle – die Frage, die sich wohl auch Mario Draghi stellt – ist, ob die Regierungen nun ihren Teil dazu beitragen werden." Besonders kritisch sieht die Britin den Mangel an Strukturreformen in Italien.

Zinsschritt birgt Risiken

Die Marktstrategin von J.P. Morgan, die über zehn Jahre als Wirtschaftsredaktorin für den britischen Sender BBC gearbeitet hatte, erwartet die erste Zinserhöhung der grossen Notenbanken von der Bank of England (BoE). Die Wirtschaftsdaten in Grossbritannien seien so stark, dass die Notenbank in London die Zinsen nach heutiger Einschätzungen im Februar anheben werde. Würde die BoE als erste grosse Notenbank den Zinsschritt wagen und sich damit dem "Fahrtwind aussetzen", könnte dies allerdings Auswirkungen auf das Pfund und die heimische Wirtschaft haben.

Im Zentrum des Interesses stehe jedoch die US-Notenbank: Die Federal Reserve wird aus Flanders' Sicht die Zinsen wohl ebenfalls in der ersten Jahreshälfte 2015 anheben, auch wenn Notenbankchefin Janet Yellen angesichts der Wirtschaftsdaten vorsichtiger und langsamer vorgehen dürfte, als dies die Finanzmärkte erwarten.

Für Investoren gebe es Grund, auch angesichts der uneinheitlichen Entwicklung in Europa optimistisch zu sein.  Die üppige Versorgung der Märkte mit billigem Geld durch die EZB sei ein Grund dafür. Aber auch die bereits erreichten Verbesserungen im Euro-Raum, sollte zu höheren Gewinnen bei den Unternehmen führen. "Und dies dürfte auch die Aktienmärkte stützen", sagt Flanders.

Im cash-Video-Interview äussert sich Stephanie Flanders auch über ihre Erfahrungen, die sie nach langjähriger Tätigkeit als Fernsehjournalistin nach ihrem Wechsel in die Finanzwelt gesammelt hat.

Das Interview entstand im Rahmen einer Pressereise, zu der J.P. Morgan eingeladen hatte.