Raiffeisen-Chef Patrik Gisel prescht vor. Vor einer Woche sagte er gegenüber cash, der Schweizer Franken könnte sich zum Euro bis auf das Verhältnis von 1,15 abschwächen. Mutig ist das, weil es vom aktuellen Niveau aus eine Verbilligung des Frankens von mehr als 6 Prozent bedeutet. Und weil dies sonst kaum jemand erwartet.

Seit Wochen, genauer seit dem Brexit-Votum Ende Juni, pendelt der Euro-Franken-Kurs zwischen 1,08 und 1,09. Davor hatte es so ausgesehen, als ob sich das Währungspaar über der Marke von 1,10 etablieren könnte, wie der folgende Chart zeigt.

Euro-Franken in den letzten 6 Monaten: Kurz vor dem Brexit-Votum stand der Kurs noch bei 1,11 (Quelle: cash.ch)

Für viele Beobachter ist ein Euro-Franken-Kurs von 1,10 derzeit das höchste der Gefühle. Dazu gehören zum Beispiel Chefökonom Daniel Kalt von der UBS und Felix Adam vom Zürcher Währungsspezialisten ACT. Für Adam ist allerdings klar: Dieser Kursstand liegt nur drin, weil die Schweizerische Nationalbank (SNB) kräftig am Devisenmarkt aktiv ist: "Ohne diese stünde der Kurs eher bei Parität. Aktuell wird die SNB vom Markt immer wieder getestet, aber noch sind ihre Muskeln genügend stark, um sich zu wehren."

SNB überraschend ehrlich

Dass der Schweizer Franken rund um die Europa-Austrittsentscheidung der Briten nicht noch vehementer als sicherer Hafen angesteuert wurde, hat in der Tat viel mit der SNB zu tun. Anders als üblich gab sie unmittelbar nach dem Brexit-Entscheid am 24. Juni bekannt, im Devisenmarkt zu intervenieren, um aktiv stabilisierend zu wirken.

Zwar ist nicht genau bekannt, mit welchen Summen Thomas Jordan und sein Team eingriff. Sie dürften sich aber im üblichen Rahmen bewegt haben, wie die Veränderungen der Sichteinlagen von Banken und Bund zeigen. Die offensive Kommunikation der SNB dürfte also vor allem eine rhetorische Waffe gewesen sein.

Was braucht es abgesehen von den Devisenkäufen, damit der Franken auf den Vor-Brexit-Stand zurückkehrt? Für ACT-CEO Felix Adam gibt es vor allem einen Faktor: eine Ausweitung der SNB-Negativzinsen. Die Strafzinsen sind das zweite wichtige Instrument der Nationalbank, um den Franken bei Investoren weniger attraktiv zu machen. Für das Parkieren von Geld verlangt die SNB seit Januar 2015 einen Zins von 0,75 Prozent.

Damit die SNB diesen Wert noch weiter in den negativen Bereich drücken würde, müsste die Europäische Zentralbank (EZB) am 8. September ihrerseits den Hauptrefinanzierungssatz für Banken, der aktuell bei null liegt, auf -0,25 senken. Zieht die SNB nicht nach, verkleinert sich die Zinsdifferenz zum Euro-Raum und die Schweiz wird für Anlegergelder attraktiver.

Das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Denn die Lage in der Euro-Zone hat sich noch nicht richtig aufgehellt. Im Gegenteil: Die dortige Konjunktur hat sich im zweiten Quartal spürbar abgeschwächt, auf nur noch 0,3 Prozent Wachstum. Mit einer Zinssenkung könnte die EZB versuchen, diesen stotternden Motor zum Laufen zu bringen.

Nervosität ist immer noch hoch

Kaum Kurspotenzial im Währungspaar Euro-Franken erkennt Währungsexpertin Ursina Kubli von der Bank J. Safra Sarasin: "Bis Ende Jahr erwarten wir einen Euro-Franken-Kurs bei 1,08. Die Nervosität an den Märkten ist immer noch relativ hoch." Zudem stehe Premierminister Matteo Renzi in Italien vor einer Vertrauensabstimmung, die auch die Euro-Zone auf die Probe stellen könnte.

Verlieren Investoren das Vertrauen in den Euro-Raum, verlagern sie häufig Gelder in die Schweiz. "Und ob aus Grossbritannien nicht noch mehr Brexit-Geld in die Schweiz fliesst, ist nicht ausgeschlossen", so Kubli.

Bekommt der Raiffeisen-CEO mit seinem Vorpreschen recht? Oder bleibt der Euro-Franken-Kurs im engen Korridor zwischen 1,08 und 1,09 gefangen? Klar ist: Die kommenden Wochen halten einiges an Überraschungen bereit, welche die SNB auf Trab halten werden.