cash: Herr Gielisch, Sie sind seit Montag in Basel, wo diese Woche die Kunstmesse Art eröffnet wird. Was machen Sie als Sachverständiger für Schäden an Kunstwerken an der Art?

Claus Gielisch: Die Art ist ein Ort, an dem viele Leute zusammenkommen, mit denen wir tagtäglich zu tun haben: Makler, Galeristen, Versicherungschefs, Künstler. Es ist ein grosses Get-Together. Und bevor Sie mich fragen, hier bereits die Antwort: Ja, der erste Schaden ist auch schon da.

Und der wäre?

Ich habe den Schaden noch nicht gesehen, aber es ist eine grössere Geschichte. Wahrscheinlich ein Transportschaden eines Gegenstandes aus den USA.

Sind Transportschäden typisch bei Kunstwerken?

Transporte sind immer schwierig, aber auch die Messen an sich. Es gibt immer viel Verschiebungen und Bewegung. Dann gerät schon einmal ein Messekatalog eines Besuchers in ein Bild. Ich wurde einmal gerufen, um ein Loch in einem Bild von Lucio Fontana zu begutachten. Auf meine Erwiderung, dass dieser Künstler ja ohnehin Löcher in seine Bilder integriert, sagte man mir, dass während einer Messe ein weiteres Loch dazugekommen war. Sie sehen: Eine Messe ist eine unruhige Sache, aber auch zu Hause oder in Museen passieren Unfälle.

Gerade das Fontana-Beispiel tönt nach absichtlicher Beschädigung oder Vandalismus. Kommt das häufig vor?

Fälle von Vandalismus gibt es natürlich. Absichtliche Beschädigung kommt aber sehr selten vor. Es heisst übrigens ja auch, dass sehr viel geschummelt wird in dieser Beziehung. Aber das entspricht nicht meiner Erfahrung.

Im letzten August bohrte ein 12-jähriger Junge in einer Ausstellung in Taiwan beim Stolpern seine Faust in ein 1,5-Millionen-Dollar-Bild von Paolo Porpora…

…ja, dazu gibts ja dieses Youtube-Video.

Das sind dann eher Ausnahmefälle, oder?

Ja, aber sie kommen vor. Ich weiss von einem Fall auf einer Party, bei der ein Kellner mitsamt einem Tablett voller Champagner-Gläsern in ein Bild stürzte.

Welches waren die krassesten und teuersten Fälle in ihrer 30-jährigen Tätigkeit?

Teuer ist nicht immer krass. Krass sind vielfach die Emotionen, die bei Schadenfällen freigesetzt werden. Sei es bei Privatpersonen, Galeristen oder, zum Teil ganz extrem, bei den Künstlern.

In vielen Fällen kommt es zu Wertverminderung bei Kunstwerken nach Schäden. Kommt es häufig zu Fällen, bei denen es sich gar nicht mehr lohnt, Werke zu reparieren?

Das kommt natürlich vor. Nämlich dann, wenn Restaurierungskosten plus Wertverminderung höher sind als der Versicherungswert des Bildes. Vielen guten Restauratoren gelingt es aber oft, die Schäden zu minimieren.

Wie hoch sind die Wertverminderungen nach den Schäden typischerweise?

Eine Durchschnittzahl für eine Wertverminderung für alle Schäden anzugeben, ist unmöglich. Eine prozentuale Wertverminderung beim einzelnen Schadenfall aber schon. Bei einem Schaden an einem Werk eines relativ unbekannten Künstlers, dessen Werke sich sowieso nicht gut verkaufen, ist die Wertverminderung sehr hoch. Wenn dann jemand ein restauriertes Objekt von Joseph Beuys relativ günstig anbietet: Den kaufen die Leute auch so, natürlich wegen des Namens. Bei einer Wertverminderung spielen viele Faktoren mit. Wo ist der Schaden im Bild, eher im Zentrum oder am Rand? Wie gross ist das Bild? Wie gross ist die Fläche des Schadens proportional zum Bild?

Sie sind ja eine Art dritte Instanz neben Eigentümern von Kunstwerken und den Versicherern. Kommt es da zu Konflikten?

Die normalen Kunstversicherer sind darauf eingestellt, den besonderen Umständen Rechnung zu tragen. Sie gehen zumeist diplomatisch geschickt vor. Es hängt auch viel vom Kunstverständnis des Versicherungsmitarbeiters ab. Gegenüber den Geschädigten ist Kommunikation und Transparenz sehr wichtig. Bei normalen Haftpflichtschäden kommt es dagegen häufig vor, dass die Versicherung einen Regulierer zur Schadenexpertise vorbeischickt und dieser dann schon mal in hohem Bogen rausfliegt. Weil es mit dem Künstler oder der Künstlerin einen Streit gibt darüber, ob das Werk, das Schaden genommen hat, überhaupt Kunst ist. Die Schemata der Kunstschäden sind oft ähnlich. Ebenso die Fragen, die man stellen muss und der Rapport mit den Beteiligten.

Kommt es häufig zu Gerichtsfällen?

Nein. Dies ist für alle Beteiligten immer schwierig. Nach einem Gerichtsverfahren sind selten alle zufrieden. Vor Gericht ist der Ausgang eines Verfahren oft überraschend und es sind immens hohe Kosten damit verbunden.

Wie sind Sie überhaupt zu diesem Beruf gekommen?

Ich betreibe in dritter Generation ein Sachverständigenbüro. Mein Grossvater hat die Firma gegründet, mein Vater begutachtete Transportschäden und konnte berühmte Fälle wie die von der Badewanne von Joseph Beuys begleiten. Schon vor seinem Tod im Jahr 1990 haben wir viele Fälle gemeinsam bearbeitet. Ich mache diesen Job nun seit 30 Jahren und kenne die meisten Leute in der Szene. Mit ihnen strebe einen fairen Umgang an. Ich will am Abend auch in den Spiegel schauen können.

Wie halten Sie sich fachlich auf dem Laufenden?

Es ist unmöglich, alle Künstler zu kennen und alles zu wissen. Auch die Spezialisten, die an der Art herumlaufen, kennen nicht alles, was im Markt angeboten wird. Ich selber informiere mich in den Medien, in Museen und an Veranstaltungen wie an der Art in Basel.

Der Kunstmarkt erfährt ja seit Jahren einen Boom, der nicht abreissen will. Wie beurteilen Sie das?

Nun, das ist die Marktwirtschaft. Natürlich gibt es in vielen Fällen einen Unterschied zwischen Wert und Preis. Man kann nie sicher prognostizieren, ob etwas auf langfristige Sicht einen hohen Wert hat. Es gibt in der Kunstgeschichte ja viele Beispiele von Leuten, die erst spät bekannt wurden – und umgekehrt. Bei gewissen Hypes muss man sich gewiss die Frage stellen, ob der Preis nicht übertrieben ist.

Welche Kunst gefällt Ihnen am besten?

Wenn man Künstler selber kennt und Sympathie zu ihnen entwickelt, hat man einen anderen Zugang zu diesen Leuten. Ich war ein grosser Fan und Freund des deutschen Malers und Fotografen Sigmar Polke. Auch die Werke des viel versprechenden Berliner Künstlers Tim Trantenroth finde ich toll. Kunst muss einem gefallen. Die Überlegung, dass man immer nur Kunst kauft unter dem Aspekt der Wertsteigerungsmöglichkeiten, ist natürlich ein Vabanquespiel.

Sammeln Sie auch?

Ja, ich habe viele Werke zeitgenössischer Künstler. Mein Vater hat mit dem Sammeln schon begonnen, vor allem Werke aus dem Düsseldorf der 1920er Jahre. Bei uns im Büro habe ich aber auch ein paar schöne Fakes herumhängen. Die Besucher können dann jeweils raten, was echt und unecht ist. Ein amüsantes Spiel.

Claus Gielisch ist vereidigter Sachverständiger für die Feststellung und Bewertung von Schäden an zeitgenössischer Kunst und geschäftsführender Gesellschafter der C. Gielisch GmbH in Düsseldorf. Die gesamte Gielisch-Gruppe beschäftigt 120 Mitarbeiter. Gielisch, der das Unternehmen in dritter Generation leitet, ging im Lyceum Alpinum in Zuoz GR in die Schule und studierte später Jurisprudenz.