Den Aktionären von Nestlé kommt beim Anblick der Kursentwicklung das Schaudern: Denn in den letzten Monaten ging es steil bachab mit dem Börsenwert des Nahrungsmittelmultis. War eine Aktie Mitte August 2016 noch knapp 80 Franken wert, so sind es heute noch weniger als 69 Franken – ein Rückgang um 14 Prozent in etwas mehr als drei Monaten. Im Chart sieht dies so aus:

Aktienkurs von Nestlé in den letzten 12 Monaten. Quelle: cash.ch

Die Kurskurve zeigt den - für einen defensiven Titel wie Nestlé - doch eher unüblich tiefen Fall seit August 2016. Derzeit notiert die Aktie gar so tief wie seit Januar 2015 nicht mehr. Dabei wurden Anleger bei Nestlé jahrelang mit steigenden Kursen verwöhnt: Von Mitte August 2012 bis Mitte August 2016 stieg die Aktie um fast 35 Prozent an.

Wieso nun die plötzliche Kehrtwende? Verschiedene Ursachen haben zum Kursfall geführt:

  • Enttäuschende Unternehmenszahlen: Einen ersten Dämpfer gab es für Anleger bei der Präsentation der Halbjahreszahlen im August 2016. Die Analysten-Erwartungen für das organische Wachstum – der wichtigsten Umsatzzahl bei Nestlé - und beim Reingewinn wurden deutlich verfehlt. Auch drei Monate später hatte sich die Wachstumsdynamik nicht wieder beschleunigt. Darüber hinaus senkte CEO Paul Bulcke das organische Wachstumsziel für dieses Jahr von 4,2 auf neu 3,5 Prozent.
  • (Zu?) ambitionierte Ziele: Nestlé will längerfristig pro Jahr ein organisches Wachstum von 5 bis 6 Prozent aufweisen. Dieses Ziel hatte man die letzten Jahre verpasst. In einem Interview mit der "Finanz und Wirtschaft" vor einem Monat relativiert Bulcke diese Wachstumszahlen allerdings jedoch leicht: In einem normalen Umfeld sei dies ein Ziel, aber nicht im aktuellen Tiefzinsumfeld.
  • CEO-Wechsel: Der seit 2008 amtierende Chef Bulcke wird Ende Jahr sein Amt niederlegen und den Posten von Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck-Letmathe übernehmen. Neuer CEO wird per Januar 2017 Ulf Mark Schneider. Dieser könnte bei Nestlé einiges umkrempeln. Die Credit Suisse kritisiert aber in einem Analystenkommentar, dass Schneider kaum Wissen über den Bereich Nahrungsmittel verfüge – er kommt aus dem Gesundheitsgeschäft und leitete lange Jahre den deutschen Medizinaltechniker Fresenius. Der neue CEO ist also ein gewisser Risikofaktor – auch wenn die Aktie bei Bekanntgabe des Chefwechsels Ende Juni heftig angestiegen war.
  • Generelle Sektorenrotation: Womöglich der stärkste Treiber des Nestlé-Kursfalls ist allerdings der Zinsanstieg an den Bondmärkten. Die Aussicht auf eine aufkommende Inflation - unter anderem verstärkt durch die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten - liess die langfristigen Zinsen klar ansteigen. Wie üblich in einem solchen Umfeld kommt es zu einer Rochade: Anleger gehen weg von den defensiven Sektoren und setzen stattdessen auf Value-Aktien wie Finanztitel – vor allem Banken sind Profiteure höherer Zinsen. Wie folgende Tabelle zeigt, steht Nestlé in der Tat nicht alleine da. Die Konkurrenz aus dem Nahrungsmittelsektor litt über die letzten drei Monate in ähnlichem Ausmasse:

Performance ausgewählter Nahrungsmittel-Aktien

Aktie Performance seit Anfang August, in % Dividendenrendite (in %)
Nestlé -11,4 3,3
Lindt&Sprüngli PS -11,8 1,6
Unilever -10,8 3,4
Danone -12,8 2,7
Mondelez -1,6 1,7

Quelle: cash.ch (Stand 28.11.16)

Ist nun alles schlecht bei Nestlé und dem Food-Sektor? Ein Blick auf die Nestlé-Analysten-Empfehlungen zeigt, dass die weiteren Aussichten gar nicht so übel sind: Von momentan 20 Bewertungen empfehlen zwölf Analysten zum Kauf, sechs raten zum Halten und nur zwei geben eine Verkaufsempfehlung ab. Dabei ist das tiefste 12-Monats-Kursziel bei 67 Franken (Macquarie Research), das höchste bei 96 Franken (Merrill Lynch). Dies alles bei einem aktuellen Kurs von 69 Franken.

Neuer CEO weckt auch Hoffnungen

In der Tat gibt es einige Gründe, die durchaus für einen Kauf der Nestlé-Aktien sprechen: Zwar geht ein CEO-Wechsel immer mit Risiken einher, doch könnte sich Gesundheitsexperte Schneider auch als Glücksfall erweisen. Nestlé könnte sich umorientieren und vermehrt auf das Gesundheitsgeschäft setzen - welches sehr margenstark ist und somit künftig den Nestlé-Gewinn anheben kann.

Der Leistungsausweis Schneiders beim deutschen Gesundheitskonzern Fresenius ist auf jeden Fall beeindruckend: In seiner Zeit als CEO von Ende Mai 2003 bis Ende Juni 2016 konnte er den Umsatz des Konzerns vervierfachen, den Gewinn verzwölffachen und den Aktienkurs mehr als verdreizehnfachen. Vielleicht schafft es "Wachstumsturbo" Schneider bei Nestlé wieder näher an das langfristige Wachstumsziel zu kommen.

Auch wenn, wie oben gesehen, das aktuelle organische Wachstum etwas den Erwartungen hinterher hinkt, schlägt sich der Grosskonzern aus Vevey weiterhin besser als die Branchenkonkurrenz und weist darüber hinaus das grössere Kostensenkungspotenzial auf, meint etwa ein Analyst der Zürcher Kantonalbank in einem Kommentar.

Nestlé ist mit einem geschätzten Kurs-Gewinn-Verhältnis 2017 von 19 kein Schnäppchen, aber etwa gleich teuer wie die direkte Konkurrenz Danone (18) und Unilever (18) - und darüber hinaus günstiger als in den vorangegangenen Monaten. Hinzu kommt die attraktive Dividendenrendite von 3,3 Prozent. Auch wenn der Nestlé-Aktienkurs aufgrund der Sektorenrotation im Aktienbereich noch weiter sinken könnte: Der Qualitätstitel aus der Schweiz bleibt attraktiv.

(Mitarbeit: Ivo Ruch)