Regierungserfahrung hat Christian Lindner bislang nicht. Deswegen muss der designierte Bundesfinanzminister nun im Eiltempo lernen. Denn die Herausforderungen sind gross, auch weil der 42-Jährige parallel als Parteichef seine FDP zusammenhalten und innerhalb der Ampel-Koalition zusammen mit SPD und Grünen die zuletzt massiv verschärfte Corona-Krise angehen muss.

Was genau wird in den nächsten Monaten auf Lindner zukommen? Ein Überblick:

Haushalt

Die neue Ampel-Regierung will noch vor Weihnachten einen Nachtragshaushalt vorlegen. Insidern zufolge sollen mehr als 50 Milliarden Euro in den Klimafonds gepumpt werden - Gelder, die dann in den nächsten Jahren für Investitionen zur Verfügung stehen.

"Die Pläne für die notwendigen Zukunftsinvestitionen müssen jetzt mit Leben gefüllt und einer konkreten Finanzierung hinterlegt werden", fordert Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz von den Grünen. "Dazu sollten alle Möglichkeiten im Rahmen der Schuldenbremse auch genutzt werden."

Die Schuldenbremse ist wegen der Corona-Pandemie momentan ausgesetzt, soll aber ab 2023 wieder greifen. Das lässt Lindner in diesem Jahr über den Nachtragshaushalt und im nächsten Jahr noch Möglichkeiten, Puffer aufzubauen, um wie versprochen ein "Jahrzehnt der Investitionen" zu ermöglichen.

In der FDP heisst es, der Haushalt für 2022 werde noch von der Pandemie geprägt sein und sei vorgezeichnet von der Vorgängerregierung. Die echte Bewährungsprobe komme dann mit dem Haushalt für 2023, mit dem die Schuldenbremse wieder eingehalten werden soll.

Der Bundesrechnungshof kritisiert bereits die Pläne, milliardenschwere Rücklagen für zukünftige Investitionen zu bilden. "Das ist verfassungsrechtlich problematisch", sagt Rechnungshof-Präsident Kay Scheller dem "Handelsblatt".

Ausserdem rechnen Haushälter der Ampel-Parteien damit, dass die Corona-Krise den Haushalt durcheinanderwirbeln wird - durch zusätzliche Ausgaben für Unternehmenshilfen oder Zuschüsse an Krankenhäuser und Krankenkassen. Das bedeute für die Regierung ein Start unter Extrembedingungen, sagt einer aus der FDP - "volle Verantwortung ab Tag eins".

Pläne konkretisieren

Im 177 Seiten starken Koalitionsvertrag werden zwar viele Ziele genant, konkrete Details bleiben aber häufig offen. Beispiel: Klimaschädliche Subventionen sollen abgebaut werden. Welche genau und wie viel das dann einspart, ist nicht geklärt.

Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen in ihrer Dauer halbiert werden, damit schneller investiert werden kann. Wie das gelingen soll, ist ebenfalls offen. Lindner muss zudem die geplanten "Superabschreibungen" auf Investitionen für Klimaschutz und Digitalisierung umsetzen, mit denen auch die Konjunktur angeschoben werden soll.

Ausserdem sind schärfere Massnahmen gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung vorgesehen. Dazu will Lindner Immobilienkäufe mit Bargeld verbieten.

Wirtschaft anschieben

Experten zufolge hat Deutschland in den vergangenen Jahren an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Stellvertretend für viele Verbände fordert die Industrielobby BDI eine maximale Besteuerung von Unternehmen in Höhe von 25 Prozent statt bislang mehr als 30 Prozent, um international wettbewerbsfähig zu sein.

Die FDP hat zwar ausgehandelt, dass es keine Steuererhöhungen geben soll. Für spürbare Entlastungen fehlt in der Pandemie aber das Geld. So will Lindner mit vielen kleinen Massnahmen punkten: mehr Abschreibungsmöglichkeiten sowie steuerliche Vorteile etwa bei Ausbildungsfreibeträgen oder der Verrechnung früherer Verluste.

Der BDI kritisiert, dass der Investitionsbedarf in die Modernisierung des Landes noch nicht einmal beziffert wird. "Der Abbau klimaschädlicher Subventionen darf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht gefährden", warnt der BDI. "Der Verzicht auf die überfällige Steuerreform enttäuscht."

Europa

Lindner will, dass Deutschland für Stabilität steht. Das sei gerade in Zeiten einer deutlich erhöhten Inflation wichtig, so der FDP-Vorsitzende. Doch in Brüssel wird diskutiert, ob der Stabilitätspakt, der Obergrenzen für die Neuverschuldung und den Schuldenstand setzt, überhaupt noch Sinn ergibt.

Mindestens die Vorgabe einer maximalen Gesamtverschuldung von 60 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftskraft gilt in vielen Ländern in Zeiten historisch niedriger Zinsen nicht mehr als zeitgemäss. Ausserdem wird erwogen, Klimaziele stärker zu berücksichtigen.

"Ich erwarte das Bewusstsein, dass es notwendig ist, einen Konsens zu erreichen, damit die Haushaltsregeln realistisch sind", sagt EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni der "Augsburger Allgemeinen". Die hohe Staatsverschuldung der Euro-Länder könne durch die wirtschaftlichen Corona-Folgen nur sehr langsam abgebaut werden, um die konjunkturelle Erholung nicht zu gefährden.

"Die Rolle der deutschen Regierung wird sehr wichtig sein", so der Italiener. In der FDP heisst es, es gehe für Lindner nun darum, sich in Europa zu vernetzen, Allianzen zu bilden. "Undenkbar ist, dass 100 Prozent das neue 60 Prozent werden." Auch Ausnahmen für bestimmte Investitionen bei der Berechnung der Schulden seien schwierig.

International Erfahrung sammeln

Als Finanzminister wird Lindner viel auf internationaler Bühne agieren müssen, womit er bislang wenig Erfahrung hat. Er wird Deutschland bei den EU-Finanzministertreffen vertreten, zur Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds reisen und bei den Verhandlungen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer mitmischen.

Sein vermutlich erster Auftritt in Brüssel werden die Finanzministerberatungen Mitte Januar. Im Süden Europas heisst es, die neue Bundesregierung werde trotz Lindner vermutlich nicht sparsamer agieren. Olaf Scholz als Kanzler von der SPD sei dafür der Garant.

Partei

Mit dem Wechsel von Generalsekretär Volker Wissing ins Ministerium für Verkehr und Digitales muss Lindner in der Partei die wichtigste Position nach dem Vorsitzenden neu besetzen. Denn Wissing gibt sein Parteiamt ab, um sich ganz auf seine Rolle als Minister zu konzentrieren.

Wer ihm folgen könnte, ist noch nicht geklärt. Ein FDP-Politiker sagt, es sollte jemand mit Erfahrung sein, der den Laden zusammenhalte, auch wenn Lindner im Ausland Verpflichtungen habe. Ob eine Entscheidung bereits auf dem anstehenden Parteitag am 5. Dezember fällt, bei dem der Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen abgesegnet werden soll, ist noch unklar.

Zudem muss Lindner die Fraktionsspitze neu ordnen. Er selbst wird den Fraktionsvorsitz abgeben und seinen Nachfolger vorschlagen. Auch hier ist noch unklar, wer den Posten bekommt.

Als Kandidat wird Christian Dürr aus Niedersachsen gehandelt, einer der Vize-Fraktionschefs. Für Lindner dürfte die Personalie ebenso zentral sein, denn er braucht einen Vertrauten, der ihm im Parlament den Rücken freihält. Eine Entscheidung in diesem Fall soll nach Angaben aus Fraktionskreisen in der Bundestagswoche vom 6. Dezember fallen. 

(Reuters)