In den letzten 12 Monaten wies die Aktie die schlechteste Entwicklung unter allen größeren deutschen Firmen auf. Nun will Leoni seine Finanzierung mit einem kühnen Konzept wieder auf stabilere Beine stellen. Teil davon ist der Verkauf von Forderungen - Factoring genannt - im Wert von etwa 200 Millionen Euro.

Damit will sich Leoni zunächst Luft verschaffen, wird doch im März ein Schuldschein im Volumen von 170 Millionen Euro fällig. Das Unternehmen verhandelt außerdem Verträge aus seinem massiven Auftragsbuch nach in der Hoffnung, einen Teil der steigenden Personalkosten an Kunden weitergeben zu können.

Im vergangenen Sommer hatte Leoni bekanntgegeben, seine Kabelsparte WCS verkaufen oder an die Börse bringen zu wollen. Das wäre ein heftiger Einschnitt: WCS ist zwar kleiner als die Bordnetzsparte WSD, aber profitabler. Bei 38% Umsatzanteil trug die Sparte 2018 45% zum Betriebsertrag bei. “Leoni steht das Wasser bis zum Hals”, sagte Christian Ludwig, Analyst beim Bankhaus Lampe.

Seit seinen Anfängen vor 450 Jahren hat sich das Unternehmen zu einem der größten Zulieferer für die Autoindustrie entwickelt. Der Konzern beschäftigt rund 9'000 Mitarbeiter weltweit - mittlerweile mehr als die Deutsche Bank.

In kurzer Zeit drei Gewinnwarnungen

Ähnlich wie diese musste Leoni zuletzt harte Zeiten durchmachen. Bei einem Werk in Rumänien liefen die Kosten aus dem Ruder, und nach ähnlichen Problemen in Mexiko kam es in kurzer Zeit zu drei Gewinnwarnungen. Stellenabbau und Dividendenstreichung waren die Folgen. Die Nettoverschuldung stieg nach dem zweiten Quartal auf haarsträubende 56-mal Ebitda. Seit einem halben Jahrzehnt ist Leonis freier Cashflow negativ. Die Aktionäre mussten kräftig Federn lassen: Das Papier verlor in den letzten 12 Monaten knapp 70% an Wert.

Um die finanzielle Lage prüfen zu lassen, hat Leoni ein sogenanntes IDW-S6-Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses wird von Roland Berger erstellt und soll Ende Februar vorliegen, sagten die informierten Personen. Ein positives Gutachten gilt als entscheidend, damit die Banken Leoni weiter finanzieren.

Analyst Daniel Kukalj von der Quirin Privatbank sieht bei Leoni nur begrenzte Möglichkeiten, gegen die Lohnkosteninflation anzugehen. “Eine Insolvenz ist ein Szenario, das nicht komplett ausgeschlossen werden kann”, sagte er. 2020 werde ein weiteres Jahr ohne Wachstum in der Autoindustrie sein, so Kukalj. Zugleich sieht er keine Anzeichen dafür, dass das Unternehmen seine Kosten in den Griff bekommt.

Eine Ausweitung des Factorings sei eine der bevorzugten Maßnahmen, um die Liquidität zu erhöhen, Sale-and-lease-back-Transaktionen eine weitere Option, sagte ein Leoni-Sprecher. Das Unternehmen will etwa ein Drittel seiner Forderungen verkaufen, die Ende September etwa 610 Millionen Euro betrugen. Im Dezember hatte Leoni angekündigt, die Liquidität um 200 Millionen Euro erhöhen wollen. Entsprechende Gespräche mit Kreditgebern seien “sehr konstruktiv.”

Grosse Verwerfungen in der weltweiten Autoindustrie

Leoni setzt seit Jahrzehnten auf die Ansiedlung von arbeitsintensiver Produktion in Regionen wie Osteuropa und Nordafrika. Das funktionierte gut, so lange die Löhne dort niedrig blieben und Roboter die Arbeit nicht in ähnlicher Qualität durchführen konnten.

Doch mit dem Beitritt osteuropäischer Länder zum Euroraum und einem Ansteigen der Löhne in Nordafrika stieß das System an seine Grenzen. Leonis Personalkosten stiegen in den letzten 20 Jahren um etwa das Zehnfache.

Die Restrukturierungspläne fallen zusammen mit großen Verwerfungen in der weltweiten Autoindustrie. In China schwächelt die Nachfrage, und europäische Hersteller wie Volkswagen AG oder Daimler AG müssen die Revolution vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb meistern. Das schlägt auch auf Zulieferer durch.

Leoni hat zwar einen gewaltigen Auftragsbestand - mehr als 24 Milliarden Euro waren es Ende 2018. Aber die Lohninflation nagt an der Profitabilität dieser Aufträge. Daher verhandelt man mit den Kunden nach - in einem Fall bereits erfolgreich, so der Sprecher.

Um wieder profitabel zu werden, müsse Leoni darüber hinaus in lukrativere Nischen vorstoßen, seine Produktion automatisieren und seine Bordnetze standardisieren, meint Jürgen Pieper, Analyst beim Bankhaus Metzler in Frankfurt. Außerdem müsse das Unternehmen sein Controllingproblem in den Griff bekommen und die ausländischen Niederlassungen an kürzerer Leine führen. Der angedachte Verkauf der Sparte WCS könne rund 300 Millionen Euro einbringen, etwa so viel, wie der gesamte Konzern derzeit an der Börse wert ist, schätzt Pieper.

Harald Eggeling von Oddo BHF ist weniger optimistisch. Nur ein “mutiger Private-Equity-Investor” oder ein Wettbewerber mit einem klaren Kostensenkungsansatz könne an dem Geschäft interessiert sein. Schlimmstenfalls würden einige Autobauer zur Sicherung der Produktion Leonis Werke übernehmen, sagte der Analyst. “Leoni ist systemrelevant für die europäische Autoindustrie”, so Eggeling.

(Bloomberg)