Die digitale Börse SIX Digital Exchange (SDX) soll im Sommer 2019 starten und vorerst parallel zur bestehenden klassischen Plattform laufen, schrittweise aber immer mehr Aufgaben übernehmen. "Ich denke, dass das bestehende System in etwa zehn Jahren vollständig von der digitalen Börse abgelöst werden könnte", sagte SIX-Manager Thomas Zeeb der Nachrichtenagentur Reuters in einem am Dienstag veröffentlichten Interview.

Transaktionen an der SIX und den meisten anderen Börsen laufen heute zwar vollelektronisch ab, die zugrundeliegenden Verarbeitungsschritte stammen aber häufig noch aus dem Papier- und Post-Zeitalter. Für den Vollzug eines Kaufs oder Verkaufs von Wertpapieren sind deshalb immer noch drei Schritte notwendig. Im digitalen System fallen zwei davon weg. Denn die Blockchain speichert sämtliche Transaktionen fälschungssicher, vertrauenswürdige Mittler sind damit nicht mehr notwendig. Das spart Zeit und Geld. Statt wie bisher in mehreren Tagen wird eine Transaktion vom Handel bis zur Buchung und Bezahlung in Bruchteilen einer Sekunde vollzogen.

Angesichts der Vorteile der Blockchain arbeiten viele Börsen rund um den Globus an entsprechenden Projekten, darunter auch die Deutsche Börse. Doch die SIX sieht sich weltweit als Vorreiterin. "Echte Konkurrenten, die die gesamte Kette abbilden, habe ich noch nicht gesehen", sagt Zeeb.

Aktien, Gemälde und Oldtimer

Mit der SDX reagiert die Schweizer Börse auf die Bedrohung durch Jungfirmen. Der Boom mit Kryptowährungen wie Bitcoin hat etwa Coinbase aus San Francisco oder Binance aus Hongkong innerhalb kürzester Zeit Millionen von Kunden und volle Kriegskassen beschert. Zeeb, Leiter des Bereichs Securities & Exchanges bei der SIX, befürchtet, dass sie sich nun umfassende regulatorische Lizenzen sichern könnten. "Die Realität ist: Sie drängen in unser Geschäft und vor allem in das der Banken", sagt der Kanadier, dessen Konzern rund 130 Instituten gehört. "Das ist eine grosse Gefahr." Denn die Herausforderer könnten Banken oder auch Börsen umgehen. Und der Einsatz ist hoch: "Ich gehe davon aus, dass im regulierten, digitalen Bereich in Zukunft grosse Volumen gehandelt werden."

Weil sie Neuland betrete, müsse auch die SIX noch rechtliche Fragen mit der Finanzmarktaufsicht und der Schweizer Regierung klären. Seien die Rahmenvorgaben erst einmal klar, dürfte die SDX in einem ersten Schritt den Handel mit ausgewählten Aktien anbieten. Danach folgten die anderen Aktien und später Anleihen und möglicherweise ETFs. Auch Nicht-Wertpapiere wie Gemälde oder Oldtimer könnten dereinst auf dieser Plattform den Besitzer wechseln. Vom Handel mit ebenfalls über die Blockchain-Technologie laufenden Bitcoins dürfte die SDX dagegen die Finger lassen, weil die Teilnehmer dort anonym sind.

Die SDX will sich aber nicht mit dem Handel zufrieden geben, sondern auch die Kapitalbeschaffung über sogenannte Initial Coin Offerings (ICO) ermöglichen. Während Anleger bei einem Börsengang (Initial Public Offering, IPO) Firmenanteile kaufen, erwerben sie bei einem ICO eine Art Gutschein. Wer beispielsweise ein Fussball-Stadium finanziert, könnte im Gegenzug freien Eintritt zu den Spielen des Clubs erhalten.

SIX will ein grösseres Stück vom Kuchen

Seit die SIX das Projekt in Juli in den Grundzügen enthüllt hatte, sei das Interesse enorm, vor allem aus den USA. "Wir werden zur Zeit überrannt mit Anfragen", sagt Zeeb. Zahlreiche Gesellschaften bemühten sich um ein ICO. Hedge fonds wollten sich bei der SDX einkaufen und Versicherungsgesellschaften ihre Risiken anders verpacken und digital verkaufen.

Um durchzustarten, muss die SDX noch Überzeugungsarbeit leisten. Denn die Banken dürften vorerst zögern, die bestehenden Systeme, in die sie viel investiert haben, einfach aufzugeben. Dennoch ist Zeeb optimistisch. "In dem Moment, in dem Broker, Banken, Versicherungsgesellschaften und grosse Vermögensverwalter wirklich die Kostenvorteile sehen, werden sie relativ schnell wechseln." Ziel sei es, dass die SDX dereinst einen wesentlich grösseren Marktanteil habe als die SIX im Moment.

(Reuters)