cash.ch: Frau Navidi, Donald Trump hat bei der Vorwahl für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner in Iowa einen Erdrutschsieg gegen seine Mitbewerber erzielt. Hat Sie die Deutlichkeit des Vorsprungs überrascht?

Sandra Navidi: Nein, überhaupt nicht. Iowa ist ein sehr konservativer, ländlich geprägter Bundesstaat mit überwiegend weisser, älterer Bevölkerung. Dort sind die typischen Trump-Wählerschaften zu finden.

Trumps Rivalin Nikki Haley steht nun schon gehörig unter Druck. Wird es in New Hampshire, wo am 23. Januar die nächsten Vorwahlen stattfinden, besser aussehen für sie?

Es würde mich sehr überraschen, wenn sie dort vorne läge. Haley spricht ein anderes Wählersegment an als Trump. Nämlich jüngere Leute, Frauen, Menschen mit anderer Hautfarbe. Haleys Eltern stammen aus Indien. Solche Sachen bearbeiten Trump und seine Leute nun ganz gezielt. Eine Frau, das geht schon gar nicht, sagen sie. Zudem könne jemand gar nicht Präsident oder Präsidentin werden, deren Eltern nicht in den USA geboren wurden. Das sind natürlich Fake News.

Der bislang erfolglose Ron DeSantis, der Gouverneur Floridas, wird sich wohl als erster aus der Ausmarchung zurückziehen…

Ron DeSantis ist zwischenmenschlich eine Nullnummer. Er kann nicht kommunizieren und hat kein Charisma. Landet er in New Hampshire auf den dritten Platz, dann erhöht das den Druck auf ihn, sich aus dem Präsidentschaftsrennen zu verabschieden.

(Anm. der Red.: DeSantis stieg am Sonntag nach der Publikation dieses Interviews aus dem Rennen um eine Präsidentschaftskandidatur für die Republikaner in den USA aus)

Leute in der konservativen Partei, die nicht Trumps Werte und Welt vertreten, haben seit einiger Zeit kaum noch Chancen?

Trump hat die Partei komplett übernommen und in eine Sekte verwandelt. Alle ‘normalen’ Republikaner im Stil von Ronald Reagan sind entweder aus aus der Partei geflüchtet oder sie sind vertrieben worden.

Das Lamentieren der Demokraten und liberaler Kreise in Europa ist wieder gross wegen der Beliebtheit von Trump. Aber die Demokraten vernachlässigen doch nach wie vor die Nöte und Ängste der kleinen Leute, wie etwa Migration oder hohe Preise?

Absolut. Wokeness und Politische Korrektheit sind die Geissel der Neuzeit. Amerika muss seine Grenzen schützen. Das ist das Offensichtliche, das sich jeder und jede denkt. Aber viele Leute sprechen das auch in Amerika nicht aus, weil sie Angst haben, als fremdenfeindlich abgestempelt und gecancelt zu werden. Für jedes Land gilt: Man muss seine Grenzen schützen. Es kann keine ungeregelte Migration geben, weil die Leute sonst mit Recht Kontrollverlust und soziale Ungerechtigkeit befürchten.

Hat die Regierung Biden mit den Stimuli nicht auch dazu beigetragen, dass die Inflation angestiegen ist, was Donald Trump nun hilft?

Das stimmt zum Teil, aber Amerika musste im Nachgang der Covid-19-Krise bei wirtschaftspolitischen Massnahmen Risiken abwägen. Jetzt ist die Inflation ist stark gesunken, ohne Anstieg der Arbeitslosigkeit. Auf viele Faktoren haben die Politik und die Federal Reserve auch nur begrenzten Einfluss, wie Geopolitik, also beispielsweise der Konflikt in der Ukraine und im Mittleren Osten, aber auch auf strukturelle Faktoren wie Demographie, Deglobalisierung und 'Gierflation', das heisst überproportional hohe Preissteigerungen der Konzerne. Ein Aspekt, auf dem man im Zulauf der Wahlen ein Auge halten sollte: Autokratische Regimes wie Russland, Saudi-Arabien und andere haben durchaus ein Interesse, höhere Energiepreise herbeizuführen, um Biden zu schädigen und Trump zur Wahl zu verhelfen.

Derweil gehen die Justiz-Probleme von Trump an seiner Wählerschaft völlig vorbei...

Je mehr Donald Trump vor Gericht erscheint, desto mehr nützt das ihm. Seine Anhänger sehen dies als Beweis, dass das etablierte System ihn politisch verfolgt. Aus meiner Sicht als amerikanische Juristin hat Trump von den 91 ihm vorgeworfenen Straftatbeständen einige ganz klar erfüllt. Aber sein vielleicht grösstes Talent liegt darin, das Rechtssystem mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und Verfahren immer wieder zum Entgleisen zu bringen oder bis zum Sankt Nimmerleinstag hinauszuzögern. Ich wäre überrascht, ihn eines Tages hinter Gittern zu sehen. Höchstens bekommt er einen Deal mit Hausarrest.

Die 'Financial Times' berichtete, Trump würde den 'Inflation Reduction Act' der Regierung Biden aushöhlen oder aufbrechen, wenn er wieder an die Macht käme. Kann er sich das leisten?

Damit würde er der US-Wirtschaft und damit auch dem konservativen Establishment schaden. Deshalb würde er da voraussichtlich auch aus den eigenen Reihen Gegenwind bekommen.

Es deutet also alles auf ein Duell Trump gegen Biden hin. Ihre Prognose für den 5. November?

Bis dahin kann noch viel passieren, aber Stand heute würde Biden knapp gewinnen. Dann wird wieder dasselbe passieren wie 2020: Behauptungen, dass der Sieg gestohlen wurde, Gewalt, Chaos.

2016 stiegen die Aktienmärkte nach der Wahl Trumps trotz grosser Befürchtungen steil an. Wie würden die Märkte im Herbst reagieren bei einer Trump-Wahl?

Die Märkte würden wieder volatil reagieren. Eine weitergehende Aufwärtsbewegung ist durchaus möglich. Trumps letztendlich schädliche Politik wie Zölle, Handelsbeschränkungen, Vorzugswirtschaft, Willkür sowie schwindende Rechtssicherheit würden sich mittelfristig negativ auf die Wirtschaft auswirken. Das könnte sich dann mit etwas Zeitverzug in einer Rückkopplungsschleife wiederum negativ in der Marktperformance manifestieren.

Die Rechtsanwältin und Wirtschaftsexpertin Sandra Navidi ist Gründerin und CEO der Unterehmensberatungsfirma BeyondGlobal und lebt seit über 20 Jahren in New York. Zuvor arbeitete sie unter anderem im Beratungsunternehmen des Ökonomen Nouriel Roubini. Sandra Navidi ist Bestseller-Autorin der Bücher "Super-hubs: Wie die Finanzelite und ihre Netzwerke die Welt regieren", "Das Future-Proof-Mindset" und “Die DNA der USA”, das eine Nominierung für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2023 erhalten hat.

 

 

Daniel Hügli
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