Die Viruskrise in China trübt zusehends auch die Konjunkturaussichten ein. Doch Experten stochern im Nebel, wie heftig die Verwerfungen tatsächlich ausfallen. Weil das Reich der Mitte quasi die Werkbank der Welt ist, wird über unterbrochene Lieferketten auch das Ausland in Mitleidenschaft gezogen.

Die Deutsche Bank hält wegen der rasanten Ausbreitung des Virus sogar eine Rezession in Deutschland für möglich. Doch es fehlen verlässliche Daten, wie stark Chinas Wirtschaft unter der Krise leidet - auch weil das wahre Ausmass in dem kommunistisch geführten Land womöglich unter der Decke gehalten wird.

Mehr als 1000 Menschen fielen dem Virus bereits zum Opfer. Zehntausende Fabriken sind geschlossen, zahllose Flüge gestrichen. Doch womöglich ist dies nur die Spitze des Eisbergs. "Es herrscht eine Kultur, in der bildlich gesprochen der Überbringer der Botschaft getötet wird. Wegen der Bürokratie halten die Funktionäre vor Ort lieber den Mund", sagt die Gesundheitsexpertin Catherine Troisi von der University of Texas.

Volkswirte mit Zweifel

Es ist daher schwer abzuschätzen, wie stark der Konjunktureinbruch durch die Krise ausfällt. Denn die Kommunistische Partei gibt jährlich Wachstumsziele für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vor, die meist auch punktgenau erreicht werden.

"Für uns als Beobachter ist es immer schwierig, mit den offiziellen chinesischen Wachstumszahlen umzugehen", räumt der Wirtschaftsweise Volker Wieland ein. Es sei nicht auszuschliessen, dass sie geschönt würden. "Es gibt Studien, die nahelegen, dass schon in den letzten zehn Jahren durchschnittlich ein Prozent des gemessenen BIP eigentlich übertrieben ist und die Wirtschaftsleistung tatsächlich weniger gewachsen ist", sagt der Frankfurter Ökonom.

Für dieses Jahr hat die Führung in Peking ein Wachstumsziel von sechs Prozent ausgegeben. Doch Volkswirte haben bereits vor Ausbruch des Coronavirus Zweifel angemeldet, ob die Vorgabe zu halten ist.

"Die Zahlen sind lückenhaft"

Die Analysten der Ratingagentur S&P erwarten, dass es ein BIP-Plus von 5,0 Prozent werden könnte. Ökonom Nicholas R. Lardy vom Peterson Institute for International Economics geht sogar davon aus, dass nur 4,0 Prozent herausspringen könnten. "Doch die Zahlen sind sehr lückenhaft", gibt er zu bedenken. "Jeder rät herum."

Auch die US-Notenbank (Fed) kann sich noch kein klares Bild machen. Mit einigen Effekten in den USA müsse sehr wahrscheinlich gerechnet werden. Doch sei es noch zu früh, um das Ausmass zu bestimmen, sagte Fed-Chef Jerome Powell jüngst vor dem Kongress.

Sars-Epidemie nicht vergleichbar

Jay Bryson, Chefökonom bei Wells Fargo & Co., geht davon aus, dass US-Branchen wie Luftfahrt und Elektronik von den Auswirkungen der Virus-Krise getroffen werden. Aber Lieferketten müssten schon über einen längeren Zeitraum unterbrochen werden, bevor es zu nennenswerten Auswirkungen in der Industrie komme. Zudem mache der Handel mit China nur einen kleinen Teil der US-Wirtschaft aus, die insbesondere von der Konsumlust der Bürger befeuert wird. "Wir glauben nicht, dass die US-Wirtschaft in die Knie geht", sagt Bryson. "Die Konsumfreude der Amerikaner ist ziemlich belastbar."

Dass viele Experten sich mit Prognosen zurückhalten, hat auch damit zu tun, dass China im vergangenen Jahrzehnt eine derart rasanten Aufstieg hingelegt hat, dass Vergleiche mit früheren Virus-Epidemien vor dem grossen Globalisierungsschub unbrauchbar sind.

Als 2003 die Sars-Epidemie ausbrach, war die Volksrepublik in der Weltwirtschaft noch keine so grosse Nummer wie jetzt. Damals steuerte sie gerade einmal vier Prozent zur globalen Wirtschaftsleistung bei - 2017 waren es bereits 15 Prozent. 

(Reuters)