In jedem Land werde die staatliche Infrastruktur zu einem "extrem wichtigen Faktor bei der Bewältigung dieser Krise".

"Wo diese fehlt oder ausgehöhlt ist, besonders im angelsächsischen System, mache ich mir grosse Sorgen um die Gesellschaft", sagte Hildebrand am Wochenende in einem Interview mit der "NZZ am Sonntag". Über die Jahre hätten die Amerikaner erklärt, dass Europa die Wirtschaft nach ihrem Vorbild umbauen soll. "Doch diese einseitige Ausrichtung auf den Kapitalmarkt und die kurzfristige Gewinnmaximierung wird jetzt zum Problem."

Der amerikanische Staat wolle den Firmen zwar Geld zur Verfügung stellen, sagte der Vizepräsident des weltgrössten Vermögensverwalters. Doch habe der US-Staat Mühe, effektive Kanäle zu finden, um sicherzustellen, dass das Geld bei den wirklich Betroffenen ankomme.

Öffentliche Gelder von 20 Prozent des Welt-BIP

Global erlebe die Welt einen "nie dagewesenen Einsatz von öffentlichen Geldern", sagte Hildebrand. "Ich vermute, dass wir am Schluss eine Summe von bis zu 20 Billionen Dollar erreichen, was etwa 10 bis 20 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung entspricht."

Doch das Grundproblem der Rettungspakete sei damit nicht gelöst: "Wie kriege ich das Geld dorthin, wo es effektiv gebraucht wird?" In der Praxis scheitere das oft an "unzähligen Flaschenhälsen der öffentlichen Verwaltung und des Finanzsystems", in denen das Geld steckenbleibe. "Vor allem Grossbritannien und die USA kämpfen hier mit grossen Schwierigkeiten."

Vorbildliche Schweiz

In der Schweiz funktionierten die Rettungsmassnahmen derweil vorbildlich: "Darauf können wir stolz sein." Das Land profitiere dabei von einer "wirksamen Finanzinfrastruktur" und einem "hervorragenden sozialen Netz". "Die Krise widerlegt all jene, die den Sozialstaat über Jahre hinweg verteufelt haben."

Wegen möglicher Staatsbankrotte zeigte sich Hildebrand wenig besorgt. Im Moment sei es ein "Glück", dass die Zinsen bei null lägen. "Die meisten Staaten können sich somit kostenlos verschulden. Vorerst sehe ich deshalb kaum eine Grenze bei der Verschuldung."

Bedeckt zu beruflichen Ambitionen

Bezüglich der eigenen beruflichen Ambitionen gab sich Hildebrand bedeckt. Der ehemalige Nationalbankpräsident wird immer wieder als Kandidat für das Präsidium der Grossbanken UBS sowie Credit Suisse (CS) gehandelt. "Ich versuche solche Spekulationen zu ignorieren. Gerade in dieser Zeit hat meine heutige Aufgabe absolute Priorität. Hier kann ich viel bewirken."

(AWP)