Das Corona-Beben an den Aktienmärkten bringt die Anleger langsam an den Rand der Verzweiflung. Nicht verwunderlich daher, dass einige Marktakteure daran gedacht haben, die Börsen ruhen zu lassen, um dem schier endlosen Absturz Einhalt zu gebieten.

Tatsächlich stellt sich in der Corona-Krise die Frage, ob die Preisfindungsmechanismen der Märkte nun immer gewährleistet sind. Eine chaotische Lage an den globalen Liquiditäts- und Kreditmärkten, wie sie zeitweise Ende vorletzter beziehungsweise anfangs letzter Woche zu beobachten war, würde eine Schliessung der Börsen tatsächlich rechtfertigen. Dies sagt Anastassios Frangulidis, Chefstratege von Pictet Asset Management, zu cash.

"Wenn der Geld- oder der Kreditmarkt seine Funktion nicht wahrnehmen kann, werden die Kosten nicht nur für die Aktienbörsen, sondern auch für die Realwirtschaft weiter erhöht", so Frangulidis. Die fehlende Liquidität führe zu enormen Preisverzerrungen, so dass eine Schliessung der Finanzmärkte in solchen Fällen empfehlenswert sei. Für Frangulidis ist klar, dass die Börsenschliessungen sämtliche bedeutende Finanzmärkte betreffen müsste, da ansonsten die Volatilität auf den weiterhin offenen Finanzmärkten hochbliebe. Da aber eine starke Reaktion der Geld- und Fiskalpolitik erfolgt und vieles schon an den Börsen eingepreist sei, sei eine Schliessung der Börsen aktuell nicht mehr notwendig.

Bekannteste Börsenschliessungen erfolgten alle in der USA

Die drei bekanntesten Börsenschliessungen erfolgten alle in den USA. Diese erfolgten in der Vergangenheit stets in Ausnahmesituationen. Damit wurde jeweils versucht, eine Periode von hoher Volatilität und Unsicherheit zu überbrücken. Die New Yorker Börse wurde zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 viereinhalb Monate lang dicht gemacht. Während der Weltwirtschaftskrise wurde die New Yorker Börse 1933 für einige Tage geschlossen. Und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde der Handel an der New Yorker Börse für vier Handelstage ausgesetzt. Nach der Wiedereröffnung fiel der Dow Jones trotzdem um 7 Prozent. 

Die SIX, die Betreiberin der Schweizer Börse, hat einen klaren Standpunkt. Die Börse muss gerade in volatilen Zeiten einen regelkonformen und einwandfrei funktionierenden Markt sicherstellen, sagt SIX-Sprecher Julian Chan auf Anfrage. Dies sei zentral für das Funktionieren eines geordneten Wirtschaftssystems. Eine Börsenschliessung ändere nichts an der Unsicherheit im Markt – im Gegenteil. Es gebe derzeit keinen Grund, die Schweizer Börse abzustellen, so Chan.

Auch die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC sieht keinen Anlass, die amerikanischen Börsen zu schliessen. "Die Märkte müssen auch in Phasen wie jenen funktionieren, die wir derzeit durchlaufen", sagte SEC-Chef Jay Clayton dem Sender CNBC. Und auch die Wall-Street-Chefin Stacey Cunningham erklärte auf Twitter: Sie verstehe zwar die Angst der Investoren vor neuen Kursstürzen. Doch eine länger anhaltende Schliessung würde im Gegenteil der Panik nur weitere Nahrung geben. 

Skepsis kommt auch von der Wissenschaft: Für Manuel Ammann, Professor für Finance an der Universität St. Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen, sei eine Börsenschliessung "der Alptraum jedes Aktienbesitzers", wie er auf Anfrage von cash sagt. Das Investorenvertrauen würde dadurch stark geschädigt. Und dieses wegbrechende Vertrauen könnte langfristige Schäden für die Volkswirtschaft haben.

Christoph Sax, Chefökonom bei der Migros Bank, sagt, dass das Virus vermutlich die Wirtschaft noch sehr lange in Mitleidenschaft ziehen werde. Eine Börsenschliessung von wenigen Tagen brächte daher wenig. Zudem soll die Börse laut Sax nicht nur in Schönwetterphasen geöffnet bleiben.

Dass die Börse nicht nur eine Schönwetterveranstaltung ist, leuchtet ein. Allerdings gibt es in der Corona-Krise bislang kein Halten und der Absturz an den Märkten innerhalb von wenigen Wochen war atemberaubend. Wie lange die Krise und ihre Folgen andauern, ist völlig ungewiss. Findet der Markt in den nächsten Wochen keinen Boden, werden die Rufe nach einer temporären Schliessung der Finanzmärkte sicher lauter. 

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