Bundesbankpräsident Jens Weidmann habe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung zum Jahresende gebeten, teilte die Bundesbank am Mittwoch mit. Dafür führte Weidmann persönliche Gründe an. "Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmass sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich", schrieb er in einem Brief an die Mitarbeiter. Der 53-Jährige verlässt lange vor dem Ende der regulär bis 2027 laufenden Amtszeit die Kommandobrücke - mit einer Mahnung, auf Inflationsrisiken zu achten: Dieses Thema wird in der EZB angesichts derzeit rasant steigender Preise kontrovers diskutiert.

Nachfolge offen

Wer dem gebürtigen Solinger nachfolgen wird - auch im EZB-Rat - blieb zunächst offen. Laut einer mit der Sache vertrauten Person wurde Bundesfinanzminister Olaf Scholz am Vormittag persönlich von Weidmann über den Rücktritt informiert. Dieser dankte Weidmann öffentlich für sein "ausserordentliches Engagement" an der Spitze der Bundesbank: "Er hat nicht nur die Geldpolitik in Deutschland und Europa in dieser Zeit massgeblich geprägt, sondern auch die Weiterentwicklung der internationalen Finanzmärkte vorangebracht. Jens Weidmann hat sich um unser Land sehr verdient gemacht."

Auch Kanzlerin Angela Merkel bedauere den Rückzug Weidmanns, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Sie sei vorab von ihm informiert worden. Es sei nun Aufgabe der nächsten Regierung, einen Nachfolger zu finden, "der die stabilitätsorientierte Bundesbank-Politik fortsetzt".

FDP-Chef Christian Lindner, der als nächster Finanzminister gehandelt wird, erklärte, er bedauere den Rücktritt: "Mit ihm war die Deutsche Bundesbank eine wichtige Stimme in Europa. Die FDP empfiehlt Deutschland Kontinuität." Einen Personalvorschlag wird Insidern zufolge die künftige Bundesregierung machen. Die Verhandler der Ampel-Koalition haben nun bis Ende des Jahres Zeit, sich dazu Gedanken zu machen. Als geeignete Nachfolger für Weidmann werden in der Finanzwelt unter anderen Bundesbank-Vizechefin Claudia Buch oder auch die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel gehandelt.

«Inflationsgefahren nicht aus dem Blick verlieren»

Weidmann war 2011 als Nachfolger von Axel Weber zum Präsidenten der Bundesbank ernannt worden, nachdem sein Vorgänger im Streit über die Krisenpolitik der EZB das Handtuch geworfen hatte. Auch der deutsche Chefökonom Jürgen Stark hatte sich Ende 2011 aus ähnlichen Motiven Knall auf Fall von der EZB zurückgezogen. Stark nannte Weidmanns Rückzug nun sehr verständlich und konsequent. "Niemand kann über mehr als ein Jahrzehnt eine Politik gegen die eigene Überzeugung mittragen", sagte er der "Börsen-Zeitung".

Unter Weidmann hatte sich das Verhältnis zwischen der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank in den letzten Jahren Beobachtern zufolge zwar entspannt, doch traten Konfliktlinien im Streit um die weit geöffneten Geldschleusen der EZB immer wieder zutage. Er befand sich dabei zermürbend oft in einer Minderheitenposition bei der Geldpolitik, die die Bundesbank traditionell auf eine eher straffe Linie ausgerichtet sehen möchte. So waren Weidmann und Belgiens Notenbank-Chef Pierre Wunsch im Juli die einzigen im EZB-Rat, die den neuen geldpolitischen Ausblick der Euro-Notenbank bis zuletzt abgelehnt hatten.

EZB-Chefin Christine Lagarde nannte Weidmann einen "guten persönlichen Freund", auf dessen Loyalität sie immer habe bauen können. Zugleich hob sie seine Rolle als Kompromiss-Stifter im EZB-Rat hervor. Weidmann war zwischenzeitlich auch als Nachfolger des früheren EZB-Chefs Mario Draghi gehandelt worden, doch kam der Ökonom nicht zum Zuge: Die Juristin und frühere IWF-Chefin Lagarde löste den Italiener im November 2019 an der Spitze der EZB ab. Weidmann verwies ausdrücklich darauf, dass es ihm immer wichtig gewesen sei, "dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt".

«Weidmann wird fehlen»

Zugleich mahnte er, auf Inflationsgefahren zu achten: Es gelte, nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern "auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren". Die Preise im Euroraum sind im September mit 3,4 Prozent so stark gestiegen wie seit 13 Jahren nicht mehr. Die EZB strebt eine Rate von 2,0 Prozent an und geht zurzeit davon aus, dass der Teuerungsschub schon nächstes Jahr vorbei ist - was manche Experten jedoch bezweifeln. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht zudem die Gefahr, dass die Angst von Firmen und Verbrauchern vor hoher Inflation die Teuerung hierzulande ankurbeln könnte, die zuletzt mit 4,1 Prozent bereits so hoch wie seit 1993 nicht mehr war und bis Jahresende weiter steigen dürfte.

Der Bundsbankchef mahnte, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpolitik ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerate: "Dies bleibt meine feste persönliche Überzeugung genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängigkeit der Geldpolitik."

Ökonom Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW meint, 2022 könnte den entscheidenden Test bringen, ob die EZB das Ziel der Inflationsbekämpfung ernster nehme als das Interesse der Finanzminister an niedrigen Zinsen und Anleihekäufen: "Hier wird Weidmann fehlen", ergänzte der Ökonomieprofessor.

(Reuters)