"Es wird nicht leicht, die Zinswende einzuleiten und gleichzeitig eine harte Landung der Volkswirtschaften der Euro-Zone zu verhindern", sagt Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. Während Analysten bislang davon ausgehen, dass die Währungshüter am Donnerstag eine erste Zinserhöhung für Juli signalisiert, erwarten Investoren mehrheitlich eine sofortige Anhebung des Einlagensatzes auf minus 0,4 von derzeit minus 0,5 Prozent.

Die US-Notenbank ist da weiter: Sie hat den Leitzins bereits mehrfach angehoben und wird diese Serie voraussichtlich bei den Sitzungen Mitte Juli und im Juli fortsetzen. Dieses Wissen sorge für eine gewisse Erleichterung bei Investoren, sagt Christoph Mertens, Fondsmanager der Fürst Fugger Privatbank. "Die Phase der grossen Ungewissheit, was die US-Notenbank vorhat, scheint vorerst überwunden zu sein. Die Spekulationen über eine Zinspause könnten weiteren Schwung für die Aktienmärkte bringen."

Experte: Konjunktur bislang vergleichsweise robust

Auch sein Kollege David Lambert von der Investmentbank RBC Capital Markets äussert sich optimistisch. "Die steigenden Rohstoffpreise, Unterbrechungen der Lieferkette und höheren Inflationsraten haben sich bislang eher auf die Aktienmärkte ausgewirkt als auf die Unternehmen selbst. Auf makroökonomischer Ebene erwarten wir nach wie vor ein ordentliches Wachstum."

Damit stünden die Börsenampeln aber noch lange nicht auf grün, warnt Martin Lück, Chef-Anlagestratege für Deutschland, Österreich und Osteuropa beim weltgrössten Vermögensverwalter Blackrock. "Die Neusortierung der Welt ist in vollem Gange, ein Zurück zum Status Quo ante, also dem Zustand der Globalisierung vor der Pandemie, wird es kaum geben - wegen des Krieges, der veränderten Rolle Ostasiens, auch und vor allem aber wegen der Zentralbanken. Aktienanleger brauchen also einen langen Atem, wenn sie auf die Rückkehr zu alten Höchstständen hoffen."

Vor dem Hintergrund der Diskussion um das Tempo der US-Zinserhöhungen werden Börsianer ausserdem die Verbraucherpreise genau unter die Lupe nehmen. Der erhoffte erneute Rückgang der US-Teuerungsrate von zuletzt 8,3 Prozent im Jahresvergleich werde wohl ausbleiben, sagt Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen. "Daten der US-Energieagentur lassen erwarten, dass sich Benzin und Erdgas um jeweils etwa vier Prozent verteuert haben. Auch bei Nahrungsmitteln ist mit einem Preissprung zu rechnen. Ausserdem hat der Preisdruck bei den Dienstleistungen zugenommen, die mit dem Abebben der Pandemie wieder stärker nachgefragt werden und bei denen die stark steigenden Löhne als Kostenblock eine grosse Rolle spielen."

(Reuters)