Vor nur drei Wochen hatten die Geldpolitiker gerade erst damit begonnen, sich auf einen ersten Schritt im Juli zu verständigen. Jetzt diskutieren sie offen über eine Anhebung um einen halben Prozentpunkt, darüber, ob die Kreditkosten noch in diesem Jahr auf Null gesenkt werden sollen, und darüber, wie es dann weitergehen soll.

Die Dynamik, mit der diese Diskussion voranschreitet, lässt einen lebhaften Meinungsstreit vor der entscheidenden Sitzung am 9. Juni erwarten. Dort sollen das Ende der EZB-Anleihekäufe besiegelt und die Marktteilnehmer auf einen Zinsschritt im Juli vorbereitet werden.

Aggressivere Inflationsbekämpfung

Damit besteht die Möglichkeit, dass mehr Notenbanker öffentlich eine aggressivere Inflationsbekämpfung anmahnen angesichts der Tatsache, dass die meisten anderen Länder schon längst Massnahmen ergriffen haben. Dazu gehören die US-Notenbank, die Anfang des Monats den Leitzins um einen halben Punkt erhöhte, und die schwedische Riksbank, die im April abrupt ihren Kurs änderte und die Zinsen erhöhte.

"Die Debatte besteht darin, ob die Inflation in Europa auf den Anstieg der Energiepreise zurückzuführen ist oder ob mehr dahintersteckt", sagte Pietro Reichlin, Wirtschaftsprofessor an der Universität Luiss in Rom. "Die Situation in den USA ist klarer, dort sehen wir eine Inflation. Aber in Europa könnten wir uns in diese Richtung bewegen, daher ist die Sorge berechtigt."

Die Spannungen zwischen den Ratsmitgliedern treten bereits offen zutage. Der Blogbeitrag von EZB-Präsidentin Christine Lagarde vom Montag, in dem sie einen Zeitplan mit zwei Erhöhungen um je einen Viertelpunkt im Juli und September avisierte, verärgerte die Falken im Rat, die sich zumindest die Option einer grösseren Erhöhung wünschten. So berichten es Personen, die mit den Vorgängen vertraut sind. 

Anhebung um einen halben Prozentpunkt

Inzwischen haben sich drei Notenbanker öffentlich für eine Anhebung um einen halben Prozentpunkt ausgesprochen. Der niederländische Gouverneur Klaas Knot hat den Stein am 17. Mai ins Rollen gebracht, indem er eine Anhebung um einen Viertelpunkt nur für den Fall befürwortete, dass sich die Inflationsaussichten nicht verschlechtern.

Der lettische Notenbankchef Martins Kazaks erklärte diese Woche gegenüber Bloomberg, dass eine Erhöhung um einen halben Punkt diskutiert werden könnte, während der österreichische Notenbankchef Robert Holzmann in einem anderen Interview sogar darauf bestand, dass ein solcher Schritt im Juli "angemessen" sei.

"Er würde die Menschen wachsam halten und den Märkten signalisieren, dass wir die Notwendigkeit zum Handeln erkannt haben", sagte er. "Alles andere würde Gefahr laufen, als schwach wahrgenommen zu werden."

«Kerninflation weiter deutlich beschleunigt»

Carsten Brzeski, Ökonom bei ING in Frankfurt, bemerkte, dass sich acht Wochen vor der voraussichtlichen Zinserhöhung am 21. Juli noch viel ändern kann. "Bis dahin erhalten wir Inflationsdaten für zwei weitere Monate", sagte Brzeski. "Wenn sich die Kerninflation weiter deutlich beschleunigt, sind 50 Basispunkte möglich."

Vor dem Hintergrund des sich aufbauenden Drucks in Richtung mutiger Massnahmen haben andere Geldpolitiker öffentlich darauf bestanden, dass das Mantra der EZB vom "Gradualismus" Vorrang haben müsse.

"Eine Anhebung um 50 Basispunkte ist derzeit nicht Teil des Konsenses", sagte der Gouverneur der Banque de France, Francois Villeroy de Galhau, am Dienstag in Davos gegenüber Bloomberg TV. Sein italienischer Kollege Ignazio Visco meinte letzte Woche, dass der Juli "vielleicht" der richtige Zeitpunkt für eine Zinserhöhung sei, und betonte, dass "wir schrittweise vorgehen können."

«Weiche Frühindikatoren deutlich abschwächen»

Der finnische Gouverneur Olli Rehn, der eine Anhebung um 25 Basispunkte im Juli befürwortet, betonte in einer Rede am Mittwoch ebenfalls den Gradualismus. Direktoriumsmitglied Fabio Panetta sagte unterdessen, dass die Beendigung der Negativzinsen gerechtfertigt sei, betonte aber auch, dass die Normalisierung der Politik schrittweise erfolgen müsse und dass eine Vorfestlegung auf weitere Schritte "unnötig und unklug" sei, da sich "weiche Frühindikatoren deutlich abschwächen" und es Anzeichen für wirtschaftlichen Stress gebe.

Lagarde selbst sagte gegenüber Bloomberg TV, dass der Inflationsschock in der Eurozone nicht nachfragegetrieben sei, was der EZB einen gewissen Spielraum verschaffe.

"Es handelt sich definitiv um Inflation, die durch die Angebotsseite angeheizt wird", sagte sie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. "In dieser Situation müssen wir uns natürlich in die richtige Richtung bewegen, aber wir dürfen nichts überstürzen und nicht in Panik geraten."

Allerdings sah es am Dienstag so aus, als hätte die Heftigkeit des Disputs sogar Lagarde kurzzeitig ins Schwanken gebracht. Sie nannte auch einen "positiver Bereich" bis Ende des dritten Quartals als Option - eine Aussicht, die auf eine Straffung um mehr als 50 Basispunkte bis September hindeutet.

(Bloomberg)