Sechs Jahre sass der ehemalige Investmentbanker und gelernte Jurist Jerome Powell bereits im Direktorium der US-Notenbank (Fed), bevor er das Ruder übernahm. Während dieser Zeit hatte er nicht ein einziges Mal ein abweichendes geldpolitisches Votum abgegeben. Das heißt aber nicht, dass Powell stets mit allen Fed-Entscheidungen einverstanden gewesen war. So hatten seine Bedenken hinsichtlich der massiven Anleihenkäufe nach der globalen Finanzkrise mit zum Strategiewechsel des Jahres 2013 beigetragen. Unter ihrem Notenbankchef Ben Bernanke hatte die Fed damals - begleitet von starken Marktverwerfungen - ein langsames Abschmelzen ihrer Bondkäufe eingeleitet.
Wie Bernanke vor acht Jahren ist nun Powell der Mann an der Spitze der Fed, der im Feuer steht. An ihm, der seit 2018 die weltweit mächtigste Zentralbank leitet, liegt es nun, einen Konsens unter den Währungshütern in der wegweisenden Frage zu erreichen, ab wann die massiven in der Corona-Krise aufgelegten Konjunkturhilfen wieder heruntergefahren werden sollen. Im Fokus stehen die Käufe von Staatsanleihen und Hypothekenpapieren im monatlichen Volumen von 120 Milliarden Dollar. Mehrere US-Notenbanker traten bereits mit ihren Überlegungen an die Öffentlichkeit. Meist ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass hinter den Kulissen die Debatte intensiv geführt wird.
Jahrzehntelang gründete die Glaubwürdigkeit der Fed auch darauf, dass ihre Entscheidungen von einer überwältigenden Mehrheit ihrer Mitglieder mitgetragen wurden. Dissens kommt zwar vor. So waren 2019 drei regionale Fed-Präsidenten ausgeschert. Abweichende Voten im Fed-Führungsgremium sind aber äußerst selten. Zuletzt geschah dies im Jahr 2005. Selbst die Aussicht auf eine Meinungsverschiedenheit sei schon erheblich, sagt Wirtschaftsprofessor Narayana Kocherlakota von der University of Rochester, der von 2009 bis 2015 Präsident des Fed-Ablegers von Minneapolis war. "Die Vorsitzenden, unter denen ich gearbeitet habe, haben es bevorzugt, keine Differenzen zu haben."
Bedingung: Substanzielle Fortschritte am US-Arbeitsmarkt
Powell machte zuletzt deutlich, dass für ihn die entscheidende Bedingung substanzielle Fortschritte am US-Arbeitsmarkt sind, was jedoch noch nicht erreicht sei. Erst dann könne der Abschmelzprozess bei den Käufen beginnen. Auch vertrat er wiederholt die Ansicht, dass die derzeit hohe Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen sei. Für Powell steht viel auf dem Spiel. Es geht auch um seine Zukunft an der Spitze der Fed. Wie die US-Notenbank entscheiden wird und wie erfolgreich sie die Maßnahmen dann umsetzt, könnte mit darüber bestimmen, ob US-Präsident Joe Biden Powell für eine zweite Amtszeit als Fed-Chef nominiert.
Differenzen unter den Währungshütern sind bereits sichtbar. So tritt Fed-Gouverneur Christopher Waller dafür ein, auf ein starkes Job-Wachstum im nächsten Monat mit der Ankündigung zu reagieren, die Anleihenkäufe herunterzufahren. Fed-Gouverneurin Lael Brainard zieht es dagegen vor, mindestens noch bis zur Zinssitzung am 2. und 3. November zu warten. Der Präsident des Fed-Ablegers von St. Louis, James Bullard, äußerte die Auffassung, das Abschmelzen der Käufe solle eher schnell erfolgen. Dagegen hält der Chef der Fed-Filiale von Dallas, Robert Kaplan, ein mehr graduelles Herunterfahren für sinnvoll.
Aus Sicht von Randall Kroszner von der University of Chicago Booth School of Business ist die Konjunkturentwicklung letztendlich der alles entscheidende Faktor. "Wenn die Leute sehen, dass die Wirtschaft stärker zurückkommt mit mehr Inflationsdruck, dann werden sie schneller abschmelzen wollen und kraftvoller und die Zinsen schneller erhöhen wollen." Kroszner saß von 2006 bis 2009 im Fed-Direktorium. Fed-Vize Richard Clarida äußerte sich in der vergangenen Woche stärker besorgt als Powell zu den anhaltend hohen Inflationsraten. Dabei nannte er auch erstmals Anfang 2023 als Zeitpunkt, ab dem die Fed beginnen sollte, die Zinsen zu erhöhen.
Mit Spannung erwartet wird nun der Auftritt von Powell noch in diesem Monat auf der großen Notenbank-Konferenz in Jackson Hole in Wyoming. Das Forum haben schon viele Fed-Chefs zur Steuerung der geldpolitischen Erwartungen am Finanzmarkt genutzt. Notenbanker Kaplan hält unterschiedliche Ansichten unter den Währungshütern nicht für problematisch. Der Offenmarktausschuss arbeite dann am besten, wenn es Debatten und Meinungsverschiedenheiten gebe.
(Reuters)